Entscheidungsstichwort (Thema)
Amtsentbindung eines ehrenamtlichen Richters bei Wegfall der Arbeitnehmereigenschaft durch Ernennung zum Direktor und Leiter der Europäischen Akademie der Arbeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Die paritätische Besetzung der Richterbank bei den Gerichten für Arbeitssachen (§ 16 Abs. 2 und § 35 Abs. 2 ArbGG) soll sicherstellen, dass die unmittelbare Anschauung und der Sachverstand beider Kreise des Arbeitslebens in gleichgewichtiger Weise in die Rechtsprechung eingebracht werden und das Vertrauen der Rechtssuchenden in die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte durch die paritätische Beteiligung von Personen aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkreisen gefestigt wird; bei einem "Lagerwechsel" entfällt die Voraussetzung für die Berufung des ehrenamtlichen Richters.
2. Bei der Beurteilung des "Lagerwechsels" ist eine abstrakte Betrachtungsweise geboten und nicht darauf abzustellen, ob der betroffene ehrenamtliche Richter sich nach seiner persönlichen Einstellung noch der Seite verbunden fühlt, die ihn für das Amt vorgeschlagen hat.
3. Trotz eine "Lagerwechsels" kann ein ehrenamtlicher Richter der Arbeitnehmerseite weiterhin tätig werden, wenn es sich um die Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen auf der Arbeitnehmerseite selbst handelt, etwa bei einer Gewerkschaft (§ 23 Abs. 2 Satz 1 ArbGG); eine weitere Ausnahme ist angezeigt, wenn es sich um Tätigkeiten handelt, die die Annahme rechtfertigen, dass der ehrenamtliche Richter noch dem bisherigen Interessenkreis zuzurechnen ist (§ 23 Abs. 2 Satz 2 ArbGG), so dass auch bevollmächtigte Personen als Angestellte einer juristischen Person, deren Anteile sämtlich im Eigentum einer Gewerkschaft stehen und die ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder durchführt, als ehrenamtliche Richter aus Kreisen der Arbeitnehmer berufen werden können.
4. Der Leiter der Europäischen Akademie der Arbeit übt keine Arbeitgeberfunktionen auf der Arbeitnehmerseite selbst aus; die Europäische Akademie der Arbeit ist keine "ausgelagerte" Einrichtung des Deutschen Gewerkschaftsbundes und auch keine Einrichtung, die mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund wirtschaftlich, organisatorisch und satzungsmäßig so eng verknüpft ist, dass sie (wie etwa die DGB-Rechtsschutz GmbH) dessen Interessenkreis zugerechnet werden kann.
Normenkette
ArbGG § 21 Abs. 1, 5 S. 1, § 23 Abs. 2 Sätze 1-2
Tenor
Der ehrenamtliche Richter M.A. wird von seinem Amt als ehrenamtlicher Richter beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg auf Antrag der zuständigen Stelle (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg) gemäß § 21 Abs. 1 und 5 ArbGG entbunden, weil er nicht mehr als Arbeitnehmer tätig ist.
Gründe
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Amtsentbindung eines ehrenamtlichen Richters.
Der ehrenamtliche Richter M.A. (im Jahr 1999 promoviert und im Jahr 2005 habilitiert) wurde auf Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes für die Zeit vom 01.10.1992 bis 30.09.1996 zum ehrenamtlichen Richter aus Kreisen der Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht Stuttgart berufen. Zum damaligen Zeitpunkt war Herr A. Bezirkssekretär der Gewerkschaft Holz und Kunststoff. Für die Zeit vom 01.10.1996 bis 30.09.2000 und vom 01.10.2000 bis 30.09.2005 wurde Herr A. als ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer wiederberufen. Bei seiner zweiten Wiederberufung war er als Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft IG Metall, Bezirksleitung Baden-Württemberg tätig.
Nach einer erneuten Wiederberufung für die Zeit vom 01.01.2006 bis 31.12.2010 wurde beim Arbeitsgericht Stuttgart bekannt, dass Herr A. eine Tätigkeit beim IG-Metall Vorstand in F. aufgenommen hatte. Daraufhin wurde Herr A. mit Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 18.09.2006 von seinem Amt als ehrenamtlicher Richter beim Arbeitsgericht Stuttgart entbunden. Die Amtsentbindung beruhte auf der bis zum 31.03.2008 geltenden Fassung des § 21 Abs. 1 ArbGG, wonach der ehrenamtliche Richter im Bezirk des Arbeitsgerichts tätig sein musste.
Am 01.01.2014 wurde Herr A. erneut auf Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer, nunmehr beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg berufen. Der Berufung lag die seit 01.04.2008 geltende Fassung des § 21 Abs. 1 ArbGG zu Grunde, wonach es für eine Berufung genügt, dass der ehrenamtliche Richter im Gerichtsbezirk wohnhaft ist. Der Wohnort von Herrn A. befand sich zum Zeitpunkt der Berufung in W. Zum selben Zeitpunkt war Herr A. als Bereichsleiter Grundsatzfragen beim IG-Metall-Vorstand in F. tätig.
Ende September 2014 wurde der für die Angelegenheiten der ehrenamtlichen Richter beim Landesarbeitsgericht zuständigen Stelle bekannt, dass Herr A. seine Funktion gewechselt hatte. Ausweislich des Internetauftritts der Europäischen Akademie der Arbeit hatte er am 01.04.2014 die Funktion des Direktors und Leiters der Europäischen Akademie übernommen. Hierauf wandte sich der für die Angelegenheiten der ehrenamtlichen Richter zuständige Vorsitzende Richter am Landesarbeitsgerich...