Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss einer Zusammenrechnung der Streitwerte bei wirtschaftlicher Identität
Leitsatz (amtlich)
1. Wird eine außerordentliche Kündigung fristlos und eine weitere, zeitlich nachfolgende Kündigung außerordentlich mit sozialer Auslauffrist erklärt, so ist nicht Ziff. 21.1 des Streitwertkataloges für die Arbeitsgerichtsbarkeit anwendbar, sondern Ziff. 21.3.
2. Die Folgekündigung wird mit der Entgeltdifferenz zwischen den beiden Beendigungszeitpunkten, maximal mit der Vergütung für ein Vierteljahr, bewertet.
Normenkette
GKG § 45 Abs. 1 S. 2, 3
Verfahrensgang
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 19.12.2023; Aktenzeichen 1 Ca 103/23) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Beklagten wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Reutlingen - 1 Ca 103/23 wie folgt abgeändert:
Der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert wird von EUR 18.489,21 auf EUR 36.978,42 angehoben.
Gründe
I.
Die Beschwerde betrifft die Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts gemäß § 63 Abs. 2 GKG.
Im Ausgangsverfahren wandte sich der beim Beklagten als Gesundheits- und Krankenpfleger beschäftigte Kläger mit Antrag Ziffer 1 gegen eine auf einen Arbeitszeitbetrug gestützte außerordentliche, fristlose Kündigung vom 24.03.2023. Nach einem Einigungsstellenverfahren, welches mit dem Beschluss endete, dass der Personalrat die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht verweigern kann, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19.07.2023 erneut, diesmal hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2024. Hiergegen wandte sich der Kläger mit Antrag Ziffer 4.
Die Parteien schlossen einen Vergleich gem. § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO, in dem sie sich u.a. auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Kündigung vom 19.07.2024 mit Ablauf des 31.03.2024 einigten.
Das Arbeitsgericht hat den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert auf ein Bruttovierteljahresverdienst festgesetzt. Antrag Ziffer 1 hat es gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG mit einem dreifachen Bruttomonatsverdienst bewertet. Antrag Ziffer 4 hat es nicht streitwerterhöhend berücksichtigt, weil wirtschaftliche Identität vorliege gemäß Ziffer I.21.1 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeiteten Fassung vom 09.02.2018 (im Folgenden: "SWK 2018", NZA 2018, 497 ff.). Die beiden Kündigungen vom 24.03.2023 und vom 19.07.2023 beruhten auf denselben Kündigungsgründen.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Beklagten, die sich auf Ziffer I.21.3 SWK 2018 beruft und für die zweite hilfsweise Kündigung vom 19.07.2023 eine weitere Bruttovierteljahresvergütung begehrt.
II.
Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Beklagten ist statthaft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 68 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet. Die zweite außerordentliche Kündigung vom 19.07.2023 mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2024 ist als Folgekündigung gemäß Ziffer I.21.3. SWK 2018 zu bewerten. Da der Beendigungszeitpunkt um mehr als drei Monate hinausgeschoben wird, ist ein zusätzliches Bruttovierteljahresverdienst in Ansatz zu bringen. Ziffer I.21.1 SWK 2018 ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar.
1. Gesonderte Bewertung / kein Ausschluss der Zusammenrechnung gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG
In einem ersten Schritt ist jeder Antrag gesondert zu bewerten. Danach sind die Anträge Ziffer 1 und 4 mit jeweils einem Bruttovierteljahresverdienst gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG zu bemessen. Eine Zusammenrechnung ist nicht aufgrund des Charakters des Folgeantrags als Hilfsantrag ausgeschlossen. Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG wird ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch mit dem Hauptanspruch nur zusammengerechnet, wenn eine Entscheidung über ihn ergeht. Bei Folgekündigungen mit späterem Beendigungszeitpunkt ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein entsprechender Kündigungsschutzantrag nur hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Hauptantrag gestellt ist. Nach § 45 Abs. 4 GKG ist die vorgenannte Regelung entsprechend anzuwenden bei einer Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich. Im vorliegenden Fall einigten sich die Parteien im Vergleich vom 21.11.2023 auf eine Beendigung aufgrund der zweiten, hilfsweisen Kündigung vom 19.07.2023 zum 31.03.2024. Eine Zusammenrechnung ist nach diesen Vorschriften daher grundsätzlich nicht ausgeschlossen.
2. Wirtschaftliche Identität
Die Anträge Ziffer 1 und Ziffer 4 sind gemäß Ziffer I.21.3 SWK 2018 mit jeweils einem Quartalsverdienst in Ansatz zu bringen. Es liegt keine wirtschaftliche Identität vor.
a) Eine Zusammenrechnung der Streitwerte ist ausgeschlossen, soweit wirtschaftliche Identität gemäß § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG gegeben ist. Bei mehreren Kündigungen mit Veränderung des Beendigungszeitpunktes ist nach Ziffer I.21.3. SWK 2018 für jede Folgekündigung die Entgeltdifferenz zwischen den verschiedenen Beendigungszeitpunkten, max...