Entscheidungsstichwort (Thema)
außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen Verletzung der Verschwiegenheitspflichten als Aufsichtsratsmitglied
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer beabsichtigten Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist danach zu differenzieren, ob diesem eine reine Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis vorgeworfen wird oder ob die Arbeitspflichtverletzung in Zusammenhang mit einer Tätigkeit als Betriebsratsmitglied steht. Wird einem Betriebsratsmitglied lediglich die Verletzung einer Amtspflicht zum Vorwurf gemacht, so ist die Kündigung unzulässig und nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 BetrVG möglich.
2. Diese Differenzierung gilt auch für ein Betriebsratsmitglied, das zugleich Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ist, wenn ihm die Verletzung der Verschwiegenheitspflichten bezüglich von Angelegenheiten, die im Aufsichtsrat erörtert worden sind, vorgeworfen werden.
3. Die Weitergabe von geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, die ein Betriebsratsmitglied in einer Aufsichtsratssitzung erlangt hat, beinhaltet keine Pflichtverletzung seines Arbeitsverhältnisses. Insoweit reicht allein die Tatsache, dass das Betriebsratsmitglied sowohl sein Aufsichtsrats- als auch sein Betriebsratsamt nur als Arbeitnehmer der Arbeitgeberin erhalten hat, nicht aus, um davon auszugehen, dass die Pflichtverletzung als Aufsichtsratsmitglied auch auf sein Arbeitsverhältnis „durchschlägt”.
Normenkette
BetrVG § 103; BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Beschluss vom 11.05.2006; Aktenzeichen 27 BV 1/06) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin/Beteiligte Ziffer 1 gegen denBeschluss desArbeitsgerichts Stuttgart – Kammern Aalen – vom 11.05.2006 – 27 BV 1/06 – wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung des Beteiligten Ziffer 3 gemäß § 103 BetrVG.
Die Arbeitgeberin gehört zur C. Gruppe. Sie ist ein Zulieferer der Halbleiter- und Nanotechnologieindustrie und produziert innovative Optik- und Elektronenstrahltechnologie. Sie beschäftigt ca. 1.400 Mitarbeiter. Es besteht ein Betriebsrat. Darüber hinaus hat die Arbeitgeberin einen mitbestimmten Aufsichtsrat nach Maßgabe des Drittbeteiligungsgesetzes.
Der Antragsgegner ist der bei der Arbeitgeberin am Standort O. gebildete Betriebsrat.
Der Beteiligte Ziffer 3 ist bei der Arbeitgeberin seit 01.08.1987 zuletzt als wissenschaftlicher Mitarbeiter (promovierter Physiker) beschäftigt. Seine monatliche Bruttoarbeitsvergütung betrug zuletzt 5.441,62 EUR. Er ist seit mehreren Jahren Mitglied des Betriebsrats sowie des Konzernbetriebsrats und zugleich als Arbeitnehmervertreter Mitglied des Aufsichtsrats der Arbeitgeberin.
In § 6.1 des Anstellungsvertrags des Beteiligten Ziffer 3 vom 12.03.1990 ist eine Geheimhaltungsverpflichtung geregelt.
Die Arbeitgeberin plante den Erwerb einer börsennotierten Gesellschaft. In mehreren Aufsichtsratssitzungen bzw. Präsidialausschusssitzungen in der Zeit von Frühjahr bis Herbst 2005 wurde dieses Projekt von entscheidender strategischer Bedeutung für das Unternehmen beraten.
Der Beteiligte Ziffer 3 informierte auf der Betriebsratssitzung am 25.10.2005 unter Hinweis auf die Vertraulichkeit und unter Verzicht auf eine Aufnahme in das Protokoll Betriebsratsmitglieder über dieses Projekt der Arbeitgeberin, ohne jedoch den Namen des zu akquirierenden Unternehmens ausdrücklich zu nennen. Ob es sich insoweit um die Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen handelte, und ob dieser Sachverhalt nicht bereits in anderen Betriebsratsgremien des Konzern bekannt war, ist zwischen den Beteiligten umstritten.
Nachdem die Arbeitgeberin am 19.12.2005 von dem Sachverhalt erfuhr, stellte sie mit Schreiben vom 22.12.2005 bei dem Betriebsrat den Antrag gemäß § 103 BetrVG auf Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Beteiligten Ziffer 3. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung mit Schreiben vom 23.12.2005.
Die Arbeitgeberin ist der Meinung, dass der Beteiligte Ziffer 3 durch seine Offenbarungen gegenüber dem Betriebsrat nicht nur den Erfolg des Projekts, sondern auch die strategische Zukunft des Unternehmens gefährdet habe. Er habe die Arbeitgeberin großen haftungsrechtlichen Risiken ausgesetzt, es könnten ihr gravierende Schadensersatzforderungen drohen, da aufgrund der Börsennotierung der Zielgesellschaft alle Informationen im Zusammenhang mit diesem Projekt bis zur offiziellen Veröffentlichung als Insiderinformationen gelten. Durch die vorzeitige Offenlegung der Erwerbspläne einer börsennotierten Gesellschaft erhöhe sich auch regelmäßig deren Aktienkurs. Dies berge die Gefahr, dass sich das Vorhaben für die Arbeitgeberin erheblich verteure und wirtschaftlich nicht mehr darstellbar sei. Durch sein Verhalten habe sich der Beteiligte Ziffer 3 nach § 404 Abs. 1 Satz 1 Aktiengesetz strafb...