Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungswidrigkeit einer tariflichen Kündigungsfrist
Leitsatz (amtlich)
Soweit der Arbeitgeber gemäß § 17 Absatz 2 des Manteltarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer der Textilindustrie eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende einhalten mußte, wenn er das Arbeitsverhältnis eines gewerblichen Arbeitnehmers, das nach Vollendung des 25. Lebensjahres fünf Jahre und länger bestanden hat, kündigte, während er im Falle der Kündigung eines gleichlange beschäftigten Angestellten die gesetzliche Frist von drei Monaten zum Quartalsende einzuhalten gehabt hätte, verstößt § 17 Absatz 2 MTV wegen des im Kündigungszeitpunktes aufgrund der besonderen Verhältnisse in der Textilindustrie gegebenen Bedürfnisses an flexibler Personalplanung im produktiven Bereich nicht gegen Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Reutlingen (Urteil vom 08.02.1994; Aktenzeichen 2 Ca 778/93) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 8. Februar 1994 – 2 Ca 778/93 – wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 1/4, die Beklagte 3/4.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Nachdem sich die Parteien durch Teilvergleich vom 3. August 1994 darauf geeinigt haben, daß die ordentliche Kündigung, welche die Beklagte/Berufungsbeklagte durch Schreiben vom 23. September 1993 zum 31. Oktober 1993 erklärt hat, durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und daher gerechtfertigt ist, besteht zwischen ihnen noch Streit darüber, welche Kündigungsfrist die Beklagte einzuhalten hatte.
Die Beklagte ist eine Textildruckerei, die ausschließlich Ware bedruckt, die im Eigentum ihrer Kunden steht. Der am … geborene Kläger/Berufungskläger war bei ihr seit 2. Februar 1987 beschäftigt. Etwa während der letzten beiden Jahre war er als Druckhelfer eingesetzt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand aufgrund Vereinbarung der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer der Textilindustrie in der durch Tarifvertrag vom 5. November 1992 geänderten Fassung Anwendung. Dessen mit „Kündigung und Probezeit” überschriebener § 17 lautet danach in seinen Absätzen 1 bis 3 wie folgt:
„Die von jeder Seite einzuhaltende Kündigungsfrist beträgt zwei Wochen, nach einer Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren drei Wochen, von zehn Jahren vier Wochen und von 15 Jahren sechs Wochen.
Die Kündigung kann nur auf das Ende einer Kalenderwoche erklärt werden.
Kündigt der Arbeitgeber, so gelten für ihn zusätzlich die Bestimmungen des § 622 Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches.
Erläuterungen: § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB lautet:‚Hat das Arbeitsverhältnis in dem selben Betrieb oder Unternehmen fünf Jahre bestanden, so erhöht sich die Kündigungsfrist auf einen Monat zum Monatsende; hat es zehn Jahre bestanden, so erhöht sich die Kündigungsfrist auf zwei Monate zum Monatsende; hat es 20 Jahre bestanden, so erhöht sich die Kündigungsfrist auf drei Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres; bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres liegen, nicht berücksichtigt.’
- Soweit bei Versetzungen innerhalb des Betriebes eine Kündigungsfrist einzuhalten ist oder bei sonstiger Änderung des Arbeitsvertrages beträgt diese Änderungskündigungsfrist unabhängig von der Betriebszugehörigkeit zwei Wochen. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB findet keine Anwendung. Die Kündigung kann nur auf das Ende einer Kalenderwoche erklärt werden.
Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis des Klägers durch Schreiben vom 23. September 1993, auf dessen Ablichtung (Blatt 3 der Akten) wegen der Einzelheiten verwiesen wird, aus betriebsbedingten Gründen zum 31. Oktober 1993 gekündigt.
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung.
Er hat das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse für die Kündigung bestritten und außerdem geltend gemacht, sie scheitere jedenfalls an einer nicht ausreichenden Sozialauswahl.
Der Kläger hat beantragt:
Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 23. September 1993, übergeben am 24. September 1993, nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erwidert, zurückgehende Druckaufträge hätten sie gezwungen, ihren Personalbestand anzupassen. Trotz Kurzarbeit sei daher die Kündigung des Klägers erforderlich gewesen. Die von ihr vorgenommene Sozialauswahl sei im übrigen zutreffend.
Wegen des Sach- und Streitstandes im einzelnen wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils (Blatt 27 und 28 der Akten) sowie auf den schriftlichen Vortrag der Parteien Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Einvernahme des Zeugen … Seine Aussagen ergeben sich aus der Sitzungsniederschrift vom 8. Februar 1994 (Blatt 22 – 24 der Akten), auf welche verwiesen wird.
Durch Urteil vom 8. Februar 1994 hat das Arbeits...