Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der vorsorglichen Gewährung von Erholungsurlaub in der Kündigungsfrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kündigt ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich und hilfsweise ordentlich, so kann er für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung zur Meidung einer Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen vorsorglich den Urlaub in der Kündigungsfrist gewähren. Der Arbeitgeber muss jedoch dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlen oder verbindlich zusagen. (Anschluss an BAG 19. Januar 2016 - 2 AZR 449/15 -).

2. Eine solche vorsorgliche Urlaubsanordnung ist europarechtskonform und verstößt nicht gegen Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG. Dem Erholungszweck des Urlaubs steht nicht entgegen, dass der Arbeitnehmer nach der hauptsächlich ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung bei Arbeitslosmeldung für Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen muss oder bei einer Arbeitssuchendmeldung Meldepflichten gegenüber der Agentur für Arbeit unterliegt.

 

Normenkette

RL 2003/88/EG Art. 7; BUrlG § 1; SGB III § 38 Abs. 1, § 138 Abs. 1, 5, §§ 141, 148, 157 Abs. 2, §§ 159, 309; EAO §§ 1, 3

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 09.01.2019; Aktenzeichen 3 Ca 3487/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.08.2020; Aktenzeichen 9 AZR 612/19)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 09.01.2019 (3 Ca 3487/18) wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
  3. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Restvergütung aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.

Der Kläger war beim Beklagten beschäftigt seit 15. Dezember 2012. Er bezog zuletzt ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.900,00 Euro.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 18. September 2017 (Bl. 7 bis 7R der arbeitsgerichtlichen Akte) außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. November 2017. In diesem Kündigungsschreiben heißt es hinsichtlich der noch offenen Urlaubsansprüche:

Für den Fall der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung gelte ich Ihnen bis zum Kündigungszeitpunkt nicht genommenen Urlaub ab.

Für den Fall der nicht anzunehmenden Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung habe ich Ihnen hilfsweise ordentlich gekündigt. In diesem Fall gilt Folgendes: Sie werden Ihren sämtlichen noch nicht genommenen Urlaub direkt im Anschluss an den Zeitpunkt des Zugangs dieser Kündigung in der Zeit vom 19.09.2017 bis 11.10.2017 nehmen. Die gezahlte Abgeltung ist dann als Zahlung des Urlaubsentgelts für den betreffenden Zeitraum zu verstehen. In jedem Fall sage ich Ihnen für die Zeit Ihres Urlaubs die Urlaubsvergütung vorbehaltlos zu.

Der Beklagte rechnete das Entgelt bis 18. September 2017 ab in Höhe von 1.140,00 Euro brutto zuzüglich einer Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.338,88 Euro brutto (Bl. 9 der arbeitsgerichtlichen Akte). Die abgerechneten Beträge wurden an den Kläger ausbezahlt.

Im Kündigungsschutzverfahren schlossen die Parteien vor dem Arbeitsgericht Stuttgart (5 Ca 6338/17) einen gerichtlichen Vergleich, dessen Zustandekommen gem. § 278 Abs. 6 ZPO mit Beschluss vom 24. November 2017 (Bl. 8 der arbeitsgerichtlichen Akte) festgestellt wurde. Dieser lautet wie folgt:

1. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen aufgrund ordentlicher Kündigung des Beklagten vom 18.09.2017 mit Ablauf des 31.10.2017 geendet hat.

2. Der Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger eine Sozialabfindung im Sinne der §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 4.000,00 Euro brutto zu bezahlen. Der Abfindungsanspruch entsteht mit Bestandskraft dieses Vergleichs. Er ist ab diesem Zeitpunkt vererblich. Die Bezahlung ist fällig zum 30.11.2017.

3. Der Beklagte verpflichtet sich, den Zeitraum vom 18.09.2017 bis 31.10.2017 ordnungsgemäß auf der Basis eines Monatsgrundgehalts in Höhe von 1.900,00 Euro abzurechnen und dem Kläger die entsprechenden Nettobeträge auszubezahlen.

4. Der Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis mit einer Gesamtbeurteilung der Note "gut" zu erteilen. Das Zeugnis enthält ferner einer der Gesamtbeurteilung entsprechende Schlussklausel.

5. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit sowie alle finanziellen Ansprüche zwischen den Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung, gleich ob bekannt oder unbekannt und gleich aus welchem Rechtsgrund, erledigt.

6. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Im Anschluss an den Vergleich nahm der Beklagte Korrekturabrechnungen vor, in welchen er für die Monate September und Oktober 2017 (Bl. 25 bis 26 der arbeitsgerichtlichen Akte) jeweils ein Bruttoentgelt in Höhe von 1.900,00 Euro auswies und in der Oktoberabrechnung die Abfindung in Höhe von 4.000,00 Euro. Die beiden Korrekturabrechnungen wurden in einer weiteren Abrechnung für den Monat Dezember 2017 (Bl. 11 der arbeitsgerichtlich...

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