Entscheidungsstichwort (Thema)

Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes bei unterschiedlicher Höhe von Nachtarbeitszuschlägen. Recht der Tarifvertragsparteien zur unterschiedlichen Zuschlagsgestaltung im MTV der obst- und gemüseverarbeitende Industrie in Baden-Württemberg. Mittelbare Bindung der Tarifvertragsparteien an Grundrechte. Zulässigkeit der Zahlung unterschiedlicher Nachtarbeitszuschläge für ständige Nachtarbeiter und Arbeiter in Wechselschicht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die unterschiedlichen Nachtarbeitszuschläge des Manteltarifvertrags für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie in Baden-Württemberg verstoßen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs. 1 GG).

2. Die Tarifparteien können Nachtarbeitszuschläge im Rahmen der Tarifautonomie grundsätzlich auch deshalb unterschiedlich gestalten, um die präventive Wirkung der Nachtarbeitszuschläge gezielt und effektiv einzusetzen.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; ArbZG § 6 Abs. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 25.06.2020; Aktenzeichen 8 Ca 21/20)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 25. Juni 2020 (8 Ca 21/20) wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihm restliche Zuschläge für Nachtarbeit in den Monaten April bis Juli, September und Oktober 2019 in Höhe von insgesamt 1035,44 Euro brutto zu zahlen.

Zwischen den Parteien bestand im genannten Zeitraum ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger arbeitete in Wechselschicht (im Wechsel in der Früh-, Spät- und Nachtschicht). Die Beklagte rechnete folgende vom Kläger in der Zeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleistete Arbeitsstunden ab und zahlte für diese einen Zuschlag für Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr in Höhe von 25 %.

- April 2019

38,16 Stunden

- gezahlte Zuschläge: 181,64 Euro brutto

- Mai 2019

6,12 Stunden

- 29,13 Euro brutto

- Juni 2019

32,47 Stunden

- 154,56 Euro brutto

- Juli 2019

65,45 Stunden

- 311,54 Euro brutto

- September 2019

43,45 Stunden

- 206,82 Euro brutto

- Oktober 2019

31,88 Stunden

- 151,75 Euro brutto.

Der Monatslohn des Klägers betrug 3.140,00 Euro brutto, sein Stundenlohn 19,04 Euro brutto.

Die Differenzforderungen des Klägers beruhen darauf, dass er der Ansicht ist, ihm stehe für diese abgerechneten Arbeitsstunden der Zuschlag für Nachtarbeit in Höhe von 50 % zu.

Die Parteien sind tarifgebunden. Es gilt der Manteltarifvertrag für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie in Baden-Württemberg vom 09. November 2004 (im Einzelnen s. Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 04. März 2020, Prozessakte des Arbeitsgerichts, Bl. 43 ff.). Dieser enthält u.a. folgende Regelungen:

"§ 4 Alters- und Schichtfreizeit

...

2. Schichtfreizeit

Arbeitnehmer, die ständig im Drei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten für je 25 geleistete Nachtschichten in diesem System eine Freischicht.

...

§ 5 Mehrarbeit, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

1. Begriffsbestimmung

...

c) Nachtarbeit

Nachtarbeit ist die in der Zeit von 21:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleistete Arbeit, soweit es sich nicht um Schichtarbeit handelt.

...

2. Zuschläge

Für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit in der Nacht, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:

a) Für Mehrarbeit

25 %

ab der 3. Mehrarbeitsstunde am Tag

30 %

b) für Nachtarbeit

50 %

c) für Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr

25 %

...

3. Berechnung der Zuschläge

...

b) Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur der jeweils höhere zu zahlen.

Hiervon ausgenommen ist der Zuschlag für Schichtarbeit (§ 5 Abs. 2 c). Dieser Zuschlag ist auch beim Zusammentreffen mit anderen Zuschlägen zu zahlen.

..."

Im Betrieb ... der Beklagten fielen in den zurückliegenden Jahren folgende Nachtarbeitsstunden außerhalb der Wechselschicht an:

- 2016: 9,19 Stunden

- 2017: 24,26 Stunden

- 2018: 12,73 Stunden.

Der Kläger machte die höheren Zuschläge für Nachtarbeit mit Schreiben seiner Gewerkschaft, der NGG, vom 26. Juli (April bis Juni) und 13. Oktober 2019 (Juli) geltend. Die Schreiben gingen der Beklagten jeweils am selben Tag per Fax zu. Die Beklagte lehnte die Zahlung höherer Zuschläge ab. Die Klage ging beim Arbeitsgericht am 30. Dezember 2019 ein und wurde der Beklagten am 09. Januar 2020 zugestellt.

Der Kläger hat vorgetragen,

der geltend gemachte Anspruch auf den höheren Zuschlag für Nachtarbeit ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Manteltarifvertrag. Der Ausschluss der Schichtarbeit aus der Nachtarbeit in § 5 Nr. 1 c MTV verstoße jedoch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und sei deshalb unwirksam. Es gebe keinen sachlich vertretbaren Grund, bei der Zuschlagsregelung zwischen Nachtarbeit in und außerhalb der Wechselschicht zu unterscheiden. Die gesundheitlichen und sozialen Belastungen der Nachtarbeit seien gleichermaßen negativ. Ein Präventionszweck der Nachtzuschläge sei Spekulation. Zur Durchsetzung des Gleichheitssatzes sei der niedrigere Zuschlag für Schichtarbeit in der Nacht nach oben dem höheren ...

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