Entscheidungsstichwort (Thema)
Passivlegitimation für Kündigungsschutzklage bei Betriebsübergang. Unbegründete Berufung der Betriebserwerberin gegen die Stattgabe der Kündigungsschutzklage zur betriebsbedingten Kündigung der Betriebsveräußerin bei unstreitigem Betriebsübergang
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist einem Arbeitnehmer vor einem Betriebsübergang durch die bisherige Arbeitgeberin gekündigt worden, ist diese für die Frage der Sozialwidrigkeit der Kündigung passiv legitimiert. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Arbeitsverhältnis vor oder nach dem Betriebsübergang endet oder ob der Betrieb vor oder nach der Rechtshängigkeit der Klage auf die Erwerberin übergegangen ist, da die Frage, ob das Arbeitsverhältnis ungekündigt auf die Erwerberin übergeht, nur in einem Rechtsstreit zwischen dem Arbeitnehmer und der bisherigen Arbeitgeberin geklärt werden kann.
2. Ist der Betriebsübergang an sich streitig, kann der Arbeitnehmer sowohl die Betriebsveräußerin wie auch die Betriebserwerberin in demselben Rechtsstreit als Arbeitgeberinnen (in Streitgenossenschaft) verklagen mit dem Antrag festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch eine betriebsbedingte Kündigung der ehemaligen Betriebsinhaberin nicht aufgelöst worden ist und dass es auf die neue Betriebsinhaberin übergegangen ist.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3; BGB § 613a Abs. 1 S. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Lörrach (Entscheidung vom 10.12.2015; Aktenzeichen 3 Ca 314/15) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach vom 10.12.2015, Az. 3 Ca 314/15 abgeändert und neu gefasst:
- Es wird festgestellt, dass das auf die Beklagte (vormalige Beklagte zu 2) übergegangene Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der H. AG (vormalige Beklagte zu 1) vom 26.6.2015 beendet wird.
- Im Übrigen wird die Klage als unzulässig abgewiesen.
II.
Von den Kosten des Rechtstreits erster Instanz trägt der Kläger die Kosten der Beklagten zu 2 und 1/4 der übrigen Kosten; die Beklagte zu 1 trägt ihre eigenen Kosten und 3/4 der übrigen Kosten.
Von den Kosten der Berufung trägt der Kläger 1/4, die Beklagte 3/4.
III.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das sie verbindende Arbeitsverhältnis durch eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung beendet worden ist.
Der Kläger war seit dem 1.10.2010 als Vertriebsleiter bei der H. AG (erstinstanzlich Beklagte zu 1) tätig. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26.6.2015 unter Wahrung der im Arbeitsvertrag geregelten Kündigungsfrist zum 31.12.2015. Das Kündigungsschutzgesetz findet in betrieblicher Hinsicht unstreitig Anwendung.
Am 1.7.2015 ging der Betrieb der H. AG, in dem der Kläger beschäftigt war, das Kalkwerk in I., bestehend aus einem Steinbruch zur Gewinnung von Kalksteinen und einem Kalkwerk zur Aufbereitung und Weiterverarbeitung des gewonnenen Materials zu Produkten für verschiedene Industriezweige auf die Beklagte (erstinstanzlich Beklagte zu 2) über. Der Betriebsübergang und der damit verbundene Übergang des Arbeitsverhältnisses ist unstreitig.
Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2015, beim Arbeitsgericht per Fax am 15. Juli 2015 - nach dem erfolgten Betriebsübergang - eingegangen, wandte sich der Kläger gegen die Kündigung.
Er machte geltend, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt, die Betriebsratsanhörung werde mit Nichtwissen bestritten und die Kündigung sei auch unwirksam, weil sie wegen des Betriebsübergangs erfolgt sei.
Der Klageantrag beinhalte neben dem Kündigungsschutzantrag eine selbständige allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO. Dem Kläger sei zwar kein anderer möglicher Beendigungstatbestand außer dem mit dem Klagantrag angegriffene Kündigung bekannt. Es bestehe jedoch die Gefahr, dass die Beklagte zu 2 im Verlauf des Rechtsstreits weitere Kündigungen ausspreche. Es werde deshalb mit dem Klageantrag zusätzlich die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis auch durch solche weiteren Kündigungen nicht beendet werde.
Vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger daher beantragt:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten zu 2 durch die Kündigung der Beklagten zu 1 vom 26.6.2015 nicht zum 31.12.2015 aufgelöst worden ist, sondern bei der Beklagten zu 2 ungekündigt fortbesteht.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben zur Begründung ausgeführt, es sei seitens der Beklagten zu 1 bereits im Februar 2014 eine Organisationsentscheidung getroffen worden, die Stelle des Klägers als Vertriebsleiter wieder entfallen zu lassen und die von diesem ausgeführten Tätigkeiten wieder vom Werksleiter ausführen zu lassen bzw. in einem geringen Umfang nicht mehr wahrzunehmen. Die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung habe sich verzögert, weil der Kläger zunächst zu den Betriebsratswahlen kandidiert habe, im Spätjahr 2014 erkrankt sei und an einer Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen habe und dann im September 2014 der Werksleiter Herr L. einen sehr schweren U...