Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen nach einer Unternehmensspaltung bzw. nach einem Betriebsübergang
Leitsatz (amtlich)
1. Betriebsvereinbarungen gelten nach Unternehmensspaltungen beim Erwerber auch dann kollektivrechtlich weiter, wenn die Spaltung nicht mit einem Teilbetriebsübergang einhergeht, wenn die abgespaltenen Vermögensteile beim neuen Rechtsträger in eine erstmals geschaffene neue betriebliche Verbundenheit ohne wesentliche organisatorische Änderungen eingegliedert werden.
2. Nach einem Betriebsübergang werden gem. § 613a Abs. 1 Satz 3 BetrVG beim Betriebsveräußerer geltende Betriebsvereinbarungen durch die beim Erwerber geltenden Betriebsvereinbarungen abgelöst. Die Ablösung unterlegt keinem generellen Verschlechterungsverbot. Ein solches kann auch der Scattolon-Entscheidung des EuGH (EuGH 6. September 2011 - C-108/10) nicht entnommen werden.
Normenkette
BetrAVG § 77 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 22.04.2016; Aktenzeichen 19 Ca 8033/14) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgericht Stuttgart vom 22.04.2016 (19 Ca 8033/14) wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtsgrundlage und den Inhalt der bei der Beklagten zugunsten des Klägers bestehenden betrieblichen Altersversorgung.
Der Kläger ist am ... geboren und verheiratet.
Die Beklagte betreibt ein Unternehmen zur Herstellung von Maschinen für die Halbleiterproduktion mit Sitz in D. . Sie beschäftigt ca. 380 Mitarbeiter.
Der Kläger ist seit 1. Januar 1987 bei der Beklagten beziehungsweise deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde ursprünglich begründet mit Anstellungsvertrag vom 12. Dezember 1986 (Bl. 25-27 d. ArbG-Akte) mit der Firma V.1 . Die V.1 war damals Teil des internationalen V.-Konzerns. Sie hatte ihren Sitz in D. mit Standorten in D., M. und S.. Unternehmensgegenstand war die Herstellung und der Verkauf technischer Geräte. Das Unternehmen gliederte sich in drei Geschäftsbereiche. Im Jahr 1999 wurden die verschiedenen Bereiche im Zuge einer Umstrukturierung unterschiedlichen Gesellschaften zugeordnet. Der Geschäftsbereich O. S. verblieb als einziger bei der V.1, die sodann in V.2 umfirmierte. Der Geschäftsbereich I. B. wurde auf die V.3 übertragen. Der Geschäftsbereich S. E. B., in dem der Kläger tätig war, wurde am 6. April 1999 auf die neu gegründete V.4 (nachfolgend: V.4) mit Sitz in I. übertragen. Diese hatte Standorte in S. und D. . Der Kläger wurde von der V.1 mit Schreiben vom 17. März 1999 (Bl. 80 d. ArbG-Akte) über den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die V.4 unterrichtet. Bei der V.4 wurde erstmals im Jahr 2002 ein Betriebsrat gewählt. Im Jahr 2011 übernahm die Konzernmutter der Beklagten, die A.., die V.4 (Konzernmutter der V.4 ). Mit Wirkung zum 30. Mai 2013 wurde die V.4 auf die Beklagte verschmolzen und ihr Betrieb vollständig in den D. Betrieb der Beklagten integriert. Über den damit verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses wurde der Kläger mit Schreiben vom 8. Mai 2013 (Bl. 83-94 d. ArbG-Akte) unterrichtet.
Der ursprüngliche Arbeitsvertrag des Klägers mit der V.1 vom 12. Dezember 1986 traf unter Nr. 7 folgende Regelung:
"Die Allgemeinen Anstellungsbedingungen des Mitarbeiter-Handbuches sowie sämtliche Betriebsvereinbarungen sind Vertragsbestandteil; ausgeschlossen sind Betriebsvereinbarungen, die sich ausdrücklich nur auf einen bestimmten Mitarbeiterkreis beziehen."
Zum Zeitpunkt des Eintritts des Klägers bei der V.1 waren die Allgemeinen Anstellungsbedingungen in einem Mitarbeiter-Handbuch (Employee-Handbook) (Inhaltsverzeichnis Bl. 43-44 d. ArbG-Akte) aufgeführt, welches unter anderem einen "Versorgungsplan für die Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenvorsorge der V.1 , D. " (nachfolgend: Versorgungsplan 1980) (Bl. 30-41 d. ArbG-Akte) beinhaltete. Es handelte sich dabei zumindest für die Mitarbeiter mit Grundgehältern unterhalb der rentenversicherungsrechtlichen Beitragsbemessungsgrenze um ein rein arbeitgeberfinanziertes Versorgungssystem. Obwohl es bei der V.1 einen Betriebsrat oder mehrere Betriebsräte und möglicherweise einen Gesamtbetriebsrat gab, war der Versorgungsplan nicht mitbestimmt zustande gekommen. Er beruhte nicht auf einer Betriebsvereinbarung oder Gesamtbetriebsvereinbarung.
Die V.1 und der Gesamtbetriebsrat beziehungsweise der sich nur Gesamtbetriebsrat nennende Betriebsrat schlossen am 29. August 1992 eine Betriebsvereinbarung Nr. 16 - Versorgungsordnung (Bl. 79 d. ArbG-Akte). In dieser heißt es auszugsweise:
"§ 2 Gegenstand
(1) Gegenstand dieser Betriebsvereinbarung ist die neue Versorgungsordnung der V.1, Ausgabe 01.01.1992. Alle Einzelheiten gehen aus der beiliegenden Versorgungsordnung hervor.
§ 3 Inkrafttreten und Kündigung
(1) Diese Betriebsvereinbarung tritt rückwirkend zum 1. Januar 1992 in Kraft."
Mit Schreib...