Entscheidungsstichwort (Thema)
Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur. Sozialauswahl
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ausgliederung von Arbeitnehmern aus der Sozialauswahl ist nur möglich zur Sicherung der Personal(Alters-)struktur des ganzen Betriebs.
2. Die Berufung auf §§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann sich nur dann rechtfertigen, wenn der Schwellenwert des §§ 17 KSchG (bzw. die Grenzen des §§ 112 a BetrVG) für eine anzeigepflichtige Massenentlassung bezogen auf den Gesamtbetrieb zumindest annähernd erreicht ist.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 3, § 17; BetrVG § 112a
Verfahrensgang
ArbG Freiburg i. Br. (Urteil vom 10.10.2007; Aktenzeichen 6 Ca 453/06) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg – Kn. Offenburg – vom 10.10.2007, Az. 6 Ca 453/06, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, aus betrieblichen Gründen ausgesprochenen Arbeitgeberkündigung.
Die am 0.0.1953 geborene, verheiratete Klägerin, deren Ehemann in seinem Ein-Mann-Betrieb selbständige Tätigkeiten verrichtet und die mit diesem zusammen ein nunmehr 15-jähriges Kind zu unterhalten hat, ist seit 01.08.1994 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Buchhalterin in der Abteilung Buchhaltung-Bilanzen mit 22 Wochenstunden teilzeitbeschäftigt und verdient durchschnittlich 1.621,00 EUR brutto monatlich.
Mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der B. GmbH, hatte die Klägerin unter dem 09.03.1994 einen Arbeitsvertrag geschlossen, in dem im Hinblick auf die vorangegangene Beschäftigung der Klägerin beim Verlag B. seit 01.07.1979 folgende Regelung getroffen war:
„1. Die B. GmbH verzichtet auf die Einschränkung des Kündigungsschutzgesetzes gemäß § 1 Abs. 1, wonach das Vertragsverhältnis ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden haben muss, um den Kündigungsschutz zu erhalten, wenn die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist.
…
Sollte bei der B. GmbH irgendwann eine Sozialauswahl erforderlich werden, sind die beim VAB (Verlag B.) zurückgelegten Zeiten zu berücksichtigen. Voraussetzung ist jedoch, dass andere Mitarbeiter nicht geltend machen können, ihnen gegenüber dürfe sich eine solche Regelung nicht negativ auswirken.
Hinsichtlich der Kündigungsfristen wird der Mitarbeiter so gestellt, dass sein Eintrittsdatum beim VAB als Eintrittstermin bei der B. GmbH gilt.
…”
Zum 01.01.1995 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin infolge eines Betriebsübergangs auf die Beklagte, die B. S. GmbH, über.
Die Beklagte ist als selbständiges Profitcenter innerhalb von B. Media bei der Erbringung von kaufmännischen Dienstleistungen unter anderem auch im Bereich Finanz- und Rechnungswesen tätig. Sie beschäftigt am Standort O. etwa 300 Mitarbeiter. Diese wiederum sind Teil eines Gemeinschaftsbetriebs, gebildet von weiteren selbständigen Profitcentern mit einer Gesamtbeschäftigtenzahl von etwa 2.400 Personen.
Unter dem 18.09.2006 schlossen die Beklagte, handelnd für alle Gesellschaften am Standort O. gemäß der Betriebsvereinbarung zum gemeinsamen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne, mit dem Betriebsrat der Gesellschaften der B. Media O. eine Betriebsvereinbarung über Kündigungsauswahlrichtlinien. Dort ist unter III 1.3 Unterhaltsbelastungen geregelt, dass bei verheirateten Mitarbeitern mit einem voll berufstätigen Ehepartner 0 Punkte, für alleinstehende Mitarbeiter 5 Punkte, für verheiratete Mitarbeiter mit einem nicht bzw. nicht voll berufstätigen Ehepartner bis zu 10 Punkte und je unterhaltsberechtigter Person (ohne Ehepartner) bis zu 7 Punkte anzusetzen sind. Unter IV heißt es:
„Sollte nach der schematischen Sozialauswahl die Punkteverteilung zwischen den Arbeitnehmern mit der geringsten Gesamtpunktzahl eine Abweichung von weniger oder gleich vier Punkten betragen, so gelten die Mitarbeiter hinsichtlich des Grades ihrer Schutzbedürftigkeit als gleichgestellt und es erfolgt eine endgültige Entscheidung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls. Die endgültige Entscheidung erfolgt davon unabhängig immer unter Abwägung aller sozialen Gesichtspunkte unter Berücksichtigung des Einzelfalles und berechtigter betrieblichen Bedürfnisse und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.”
Anfang November 2006 entschied die Beklagte, die digitale Verarbeitung von Eingangsrechnungen einzuführen und den dezentralen Posteingang auf einen zentralen Posteingang umzustellen. Es wurde eine Änderung der Aufbauorganisation des Direktionsbereichs Rechnungswesen in die Bereiche Konzernbilanzierung, Steuern, Hauptbuchhaltung/Abschlusserstellung, Kreditorenbuchhaltung mit Reisekosten, Redaktionsverwaltung und Anlagebuchhaltung sowie Debitorenbuchhaltung beschlossen. Damit verbunden war die Entscheidung 11,18 Vollzeitkräfte abzubauen.
Die Beklagte bezog 58 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Sozialauswahl ein. Sie bildete vier Altersgruppen (23 – 33, 33 – 43, ...