Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Inhaltskontrolle des Tarifvertrags bei dessen vollständiger Geltung für das Arbeitsverhältnis. Teilnichtigkeit einer vertraglichen Ausschlussfrist wegen Verstoßes gegen § 202 Abs. 1 BGB. Inhaltliche und zeitliche Reichweite einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Findet ein Tarifvertrag auf ein Arbeitsverhältnis aufgrund einer Globalverweisung im Arbeitsvertrag Anwendung, findet eine Kontrolle der tariflichen Bestimmungen anhand der §§ 305 ff. BGB nicht statt, wenn der Tarifvertrag das Arbeitsverhältnis in seinem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich erfasst (vgl. BAG 7. Juli 2020 - 9 AZR 323/19 - Rn. 21 m.w.N.).

2. Verstößt eine im vertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag geregelte Ausschlussfrist gegen § 202 Abs. 1 BGB, ist die Regelung nur insoweit nichtig, als sie mangels ausdrücklicher anderweitiger Regelung auch Ansprüche einbezieht, die durch vorsätzliches Handeln verursacht worden sind. Im Übrigen bleibt sie wirksam (Aufgabe der Rechtsprechung im Urteil v. 31. Mai 2021 - 10 Sa 73/20 - Rn. 96 ff., juris; Anschluss an BAG 23. Januar 2019 - 4 AZR 541/17 - Rn. 41; 27. Oktober 2020 - 9 AZR 531/19 - Rn. 14).

3. Die Ausschlussfrist des § 18.1.2 Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie von Südwürttemberg-Hohenzollern (MTV) erfasst auch Ansprüche, die erst nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses fällig geworden sind. Die Ausschlussfrist beginnt dann - entgegen dem insofern unvollständigen Wortlaut des § 18.1.2. MTV - nicht bereits mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu laufen, sondern erst mit der Fälligkeit des Anspruchs.

 

Normenkette

BGB § 202 Abs. 1, § § 305 ff., § 253 Abs. 2, § 276 Abs. 3, § 278 S. 2, § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1, § 831 S. 1; EGBGB Art. 2; GG Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1; BGB §§ 134, 199 Abs. 1 Nr. 2, § 241 Abs. 2; MTV Metall- und Elektroindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern § 18 Nr. 1.2

 

Verfahrensgang

ArbG Ulm (Entscheidung vom 01.12.2021; Aktenzeichen 7 Ca 166/21)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm - Kammern Ravensburg - vom 1. Dezember 2021 - 7 Ca 166/21 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin wegen "Mobbing" zum Ersatz immaterieller Schäden verpflichtet ist.

Die ..... Klägerin war seit dem 1. Juni 1998 bei der Beklagte zunächst als Sekretärin/Assistentin des Vorstandes des Geschäftsbereichs Controls und seit dem 1. März 2005 zusätzlich als Marketingreferentin in Vollzeit beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtete sich zuletzt nach dem "Anstellungsvertrag für Tarifmitarbeiter/innen" vom 2. August 2011 (Anlage K2, Bl. 29 ff. der erstinstanzlichen Akte). Unter 6. "Vertragsgrundlagen" ist Folgendes vereinbart:

"Auf das Arbeitsverhältnis findet unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit des Mitarbeiters der Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie von Südwürttemberg-Hohenzollern in seiner jeweils gültigen Fassung Anwendung, so als wäre der Mitarbeiter selbst Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft.

......"

Die Klägerin wurde tariflich nach der Entgeltgruppe 11 vergütet. Zum 1. März 2013 wurde das Arbeitszeitvolumen der Klägerin auf 25 Stunden pro Woche reduziert (Anlage K3, Bl. 32 der erstinstanzlichen Akte).

Der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Südwürttemberg - Hohenzollern (im Folgenden MTV) enthielt in der bis 31. Dezember 2021 geltenden Fassung in § 18 "Ausschlussfristen" u.a. folgende Regelung:

"18.1 Ansprüche der Beschäftigten aus dem Arbeitsverhältnis sind dem Arbeitgeber gegenüber folgendermaßen geltend zu machen:

18.1.1 Ansprüche auf Zuschläge aller Art innerhalb von 2 Monaten nach Fälligkeit;

18.1.2 alle übrigen Ansprüche innerhalb von 6 Monaten nach Fälligkeit, spätestens jedoch innerhalb von 3 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

18.1.3 Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, sind verwirkt, es sei denn, dass der Beschäftigte durch unverschuldete Umstände nicht in der Lage war, diese Fristen einzuhalten."

Aufgrund der Geburt ihrer Kinder nahm die Klägerin Elternzeit in Anspruch. Die zweite Elternzeit endete mit dem 20. September 2017, nachdem die Parteien sich über die Beschäftigung der Klägerin nach dem ursprünglich geplanten Ende am 20. September 2016 nicht einigen konnten (vgl. Anlage K10, Bl. 53 der erstinstanzlichen Akte). Zwischen den Parteien bestand auch danach Uneinigkeit über die Art und den Umfang einer Beschäftigung der Klägerin nach Ablauf der Elternzeit (vgl. Anlage K11, Bl. 138 der erstinstanzlichen Akte). Unter dem 25. August 2017 wurden der Klägerin von der Beklagten zwei offene Vollzeitstellen in der Entgeltgruppe 8 bzw. 9 und einer freiwilligen Zulage in Höhe einer Aufzahlung zur Entgeltgruppe 10 angeboten. Sie wurde gleichzeitig darauf hingewiesen, dass eine Aufteilung der Aufgaben auf mehrere Teilzeitkräfte nicht möglich sei...

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