Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewöhnlicher Zugang eines Schriftstücks bis 17 Uhr in den Hausbriefkasten. Örtliche Verhältnisse für Postzustellung unbeachtlich. Keine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage bei vorwerfbar zu langem Warten
Leitsatz (amtlich)
1. Nach den für die Bestimmung des Zeitpunkts des Zugangs einer Willenserklärung unter Abwesenden maßgeblichen gewöhnlichen Verhältnissen und den Gepflogenheiten des Verkehrs kann mit einer Kenntnisnahme von Schriftstücken, die in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers bis 17:00 Uhr eingeworfen werden, am selben Tag gerechnet werden.
2. Die Verhältnisse der Postzustellung in einem kleinen elsässischen Dorf mit weniger als 2000 Einwohnern sind nicht maßgeblich.
Normenkette
KSchG §§ 5, 13 Abs. 1 S. 2; BGB § 130 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 17.04.2018; Aktenzeichen 2 Ca 60/17) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 17. April 2018, Az. 2 Ca 60/17, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 27. bzw. 31. Januar 2017, den Antrag des Klägers, die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen, sowie den Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits.
Der Kläger ist bei der Beklagten in deren PKW-Werk in R. seit dem 1. April 1998 als Montageschlosser beschäftigt. Dort ist ein Betriebsrat gebildet. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg - Tarifgebiete Nordwürttemberg/Nordbaden Anwendung.
Die Beklagte kündigte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24. Juni 2016 ordentlich zum 31. Dezember 2016. Durch Urteil vom 17. Januar 2017 stellte das Arbeitsgericht Karlsruhe im Verfahren Az. 2 Ca 282/16 fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung nicht beendet wird. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten nahm diese am 8. Februar 2018 zurück.
Mit Schreiben vom 23. Januar 2017 verfasste die Beklagte zuvor ein an den Betriebsrat gerichtetes Anhörungsschreiben zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses (Bl. 29 ff. der arbeitsgerichtlichen Akte).
Mit Schreiben vom 27. Januar 2017 (Bl. 4 der arbeitsgerichtlichen Akte) kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos mit sofortiger Wirkung. Der Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens ist streitig; die Beklagte behauptet, sie habe es am selben Tag gegen 13:25 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers eingelegt.
Am 27. Januar 2017 nahm der Kläger ab 14:00 Uhr an der Geburtstagsfeier seiner Großmutter in F. teil.
Mit Schreiben vom 31. Januar 2017, dem Kläger an diesem Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis unter Aufrechterhaltung der bereits ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 24. Juni 2016 und der bereits ausgesprochenen außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 27. Januar 2017 ordentlich zum nächst möglichen Termin.
Am 20. Februar 2017 erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, die am selben Tag beim Arbeitsgericht Karlsruhe einging und machte die Rechtsunwirksamkeit der außerordentlichen wie auch der ordentlichen Kündigung geltend.
Dabei rügte er die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates. Zudem trägt er vor, dass das Kündigungsschreiben bezüglich der außerordentlichen Kündigung vom 27. Januar 2017 bei ihm erst am Montag, den 30. Januar 2017 eingegangen sei. Den von der Beklagten behaupteten Einwurf des Kündigungsschreibens am 27. Januar 2017 gegen 13:25 Uhr in seinen Hausbriefkasten bestreitet er. Zudem werde die Post in der von ihm bewohnten Straße in B. in F1 ausschließlich in der Zeit von 9:00 Uhr bis 11:00 Uhr zugestellt. Selbst wenn das Kündigungsschreiben am 27. Januar 2017 um 13:25 Uhr in seinen Briefkasten eingeworfen worden sein sollte, wäre es ihm erst am Folgetag zugegangen.
Zumindest sei die Kündigungsschutzklage jedoch nachträglich nach § 5 KSchG zuzulassen. Den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage habe er erst am 26. Juli 2017 gestellt, nachdem ihm anlässlich eines Besprechungstermins in den Kanzleiräumlichkeiten seines Prozessbevollmächtigten am 18. Juli 2017 auf Nachfrage seines Prozessbevollmächtigten eingefallen sei, dass er sich zum Zeitpunkt, als ihm die Kündigung in den Briefkasten geworfen worden sein soll, auf der Geburtstagsfeier seiner Großmutter befunden habe.
Vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 27. Januar 2017 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden sei.
- festzustellen, dass das Arbeits...