Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen des Bestreitens mit Nichtmehrwissen
Leitsatz (amtlich)
1. Bestreitet eine Partei den Vortrag des Gegners mit Nichtmehrwissen, ist dies nur beachtlich, wenn sie die tatsächlichen Umstände, auf die das Nichtmehrwissen gestützt wird, überprüfbar und glaubhaft darlegt.
2. Einzelfallentscheidung zu einer außerordentlichen Kündigung wegen rassistischer Äußerungen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; ZPO § 138 Abs. 3-4
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 07.02.2019; Aktenzeichen 11 Ca 3494/18) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 07.02.2019 (11 Ca 3494/18) wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung und einer hilfsweise ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist sowie über eine Weiterbeschäftigung des Klägers.
Die Beklagte stützt ihre Kündigung auf behauptete rassistische Äußerungen des Klägers.
Wegen des erstinstanzlich unstreitigen und streitigen Parteivorbringens und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gem. § 69 Abs. 2, 3 Satz 1 ArbGG auf den ausführlichen Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht stellte mit Urteil vom 7. Februar 2019 fest, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch die streitigen Kündigungen der Beklagten vom 12. Juni 2018 aufgelöst wurde. Die Beklagte wurde zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens verurteilt. Das Arbeitsgericht ließ dahinstehen, ob der Kläger wegen einer behaupteten Medikamentenüberdosierung noch steuerungsfähig war und ob der Kläger deswegen die Kündigungsvorwürfe mit Nichtmehrwissen hat bestreiten können. Es unterstellte den Beklagtenvortrag zum Kündigungsgrund als zutreffend. Das Arbeitsgericht hielt die Äußerungen des Klägers als grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Im Rahmen der Interessenabwägung hielt das Arbeitsgericht die Kündigungen jedoch für unverhältnismäßig. Die Beklagte hätte u.a. angesichts der langen beanstandungsfreien Beschäftigungsdauer, seiner Schwerbehinderteneigenschaft, seines tariflichen Altersschutzes, seiner Entschuldigung und der Erstmaligkeit des Fehlverhaltens vor Ausspruch einer Kündigung vorrangig abgemahnt werden müssen.
Dieses Urteil wurde der Beklagten am 25. Februar 2019 zugestellt. Hiergegen richtet sich die vorliegende Berufung der Beklagten, die am 11. März 2019 beim Landesarbeitsgericht einging und innerhalb der bis 27. Mai 2019 verlängerten Begründungsfrist am 27. Mai 2019 begründet wurde.
Die Beklagte beanstandet die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts als rechtsfehlerhaft.
Sie meint, das Arbeitsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Äußerungen des Klägers nicht nur rassistisch und ausländerfeindlich gewesen seien. Vielmehr zeuge die Wortwahl des Klägers ("Die elendigen Stinker, die stinken wie ein Tier, dieses Dreckspack würde ich vom Boot treten und wenn sie mir zu nahe kommen die Knarre ziehen", "Hier muss ja ein Nest sein von diesen Scheiß-Negern. Die sollte man im Meer versenken, die stinken ja schon von weitem.") von einer tiefen Menschen- und Lebensverachtung.
Sie meint, die Vorfälle in der Umkleidekabine und an der Stempeluhr könnten angesichts der zeitlichen Zäsur, wegen des Wechsels der Örtlichkeit und wegen des unterschiedlichen Adressaten- und Zuhörerkreises nicht einheitlich betrachtet werden.
Sie meint, es mache keinen Unterschied, ob die dunkelhäutigen Mitarbeiter der Fremdfirmen, deren Erscheinen Anlass für die Äußerungen des Klägers gewesen sei, die Äußerungen verstanden haben. Entscheidend sei, dass diese Äußerungen öffentlich getätigt wurden und von den Kollegen zur Kenntnis genommen wurden. Mit einer Kenntnisnahme der betroffenen Fremdarbeitskräfte habe der Kläger zumindest rechnen müssen. Unmaßgeblich sei, dass die Äußerungen nicht zugleich noch einen direkten Bezug zum Nationalsozialismus gehabt haben. Dies ändere nichts an deren menschenverachtenden Charakter.
Was der Kläger mit dem gestischen "Knarre ziehen" zum Ausdruck bringen wollte, sei in Zusammenschau mit seinen Äußerungen erkennbar gewesen. Der Bezug zu den vorbeigehenden dunkelhäutigen Mitarbeitern der Fremdfirmen sei ohne Weiteres herstellbar gewesen.
Die Entschuldigung des Klägers im Anhörungstermin vor dem Integrationsamt sei ohne Bedeutung, so lange sich der Kläger auf Nichtmehrwissen berufe.
Die Nachtschichtarbeit sei kein für den Kläger entlastendes Moment. Der Kläger sei Nachtschichtarbeit gewöhnt.
Die Beklagte meint, die Äußerungen des Klägers beim Anhörungsgespräch am 17. Mai 2018 seien nicht einer situativen Überforderung geschuldet gewesen, sondern seien vielmehr ein weiterer Ausdruck seiner rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung. Er habe nicht nur zur Rechtfertigung seiner (von ihm im Übrigen bestrittenen) ...