Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorabentscheidung über den Rechtsweg bei Rüge der Rechtswegzuständigkeit und internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte. Berufungsentscheidung bei unterlassener Vorabentscheidung des Arbeitsgerichts. Annahmeverzugslohnansprüche aufgrund bürgschaftsähnlicher "externen" Patronatszusage zur Sicherung der Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis mit einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist sowohl die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte als auch die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gerügt, muss zuerst über die Rechtswegzuständigkeit befunden werden. Nur ein rechtswegzuständiges Gericht ist berechtigt, eine Klage mangels internationaler Zuständigkeit abzuweisen.

2. Hat das Arbeitsgericht trotz Rüge über die Rechtswegzuständigkeit nicht vorab nach § 17a GVG befunden, besteht für das Berufungsgericht keine Bindungswirkung gem. § 65 ArbGG in Bezug auf den beschrittenen Rechtweg. Wird die Rüge in der Berufungsinstanz aufrecht erhalten, hat nunmehr das Berufungsgericht in das Vorabverfahren nach § 17a GVG einzutreten. Erachtet das Berufungsgericht den Rechtsweg nicht für gegeben, hat es das angegriffene Urteil durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit an das rechtswegzuständige Gericht zu verweisen. Eine Vorabentscheidung ist entbehrlich, wenn das Berufungsgericht den Rechtsweg bejaht. Es kann dann direkt durch Urteil entschieden werden.

3. Haftet ein Dritter akzessorisch für eine arbeitsrechtliche Forderung des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber (hier: bürgschaftsähnliche externe harte Patronatszusage), so ist dieser Dritte als "Rechtsnachfolger" iSv. § 3 ArbGG anzusehen, so dass auch für die Inanspruchnahme aus dieser Sicherung der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist.

4. Die Frage, ob eine Person "Verbraucher" ist iSv. Art. 17 Abs. 1 EuGVVO, ist nach der Stellung dieser Person innerhalb des konkreten Vertrages in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung zu beantworten und nicht nach der subjektiven Stellung dieser Person. Auch ein eingetragener Kaufmann kann Verbraucher sein, wenn er Ansprüche aus oder im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis geltend macht, welches er neben seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit eingegangen ist. Arbeitnehmer sind Verbraucher.

5. (Zur Auslegung einer externen harten Patronatsvereinbarung.)

6. (Zur Rechtmäßigkeit einer Vereinbarung über die Anwendbarkeit Schweizer Rechts auf ein Arbeitsverhältnis nach Art. 8 Abs. 1 und 2 Rom I-VO.)

 

Normenkette

ArbGG § 65; GVG § 17a; ArbGG § 3; EuGVVO Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 17, 18 Abs. 1; EGV 593/2008 Art. 3-4, 6 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1-2; Schweizer OR Art. 324, 336a, 337b, 91, 327a; BGB §§ 133, 157, 611a Abs. 2; ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a); EuGVVO Art. 17 Abs. 1 Buchst. c); Rom I-VO Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 22.11.2017; Aktenzeichen 29 Ca 1854/17)

 

Nachgehend

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 17.06.2024; Aktenzeichen 4 Sa 6/18)

BAG (Urteil vom 29.03.2023; Aktenzeichen 5 AZR 55/19)

BAG (EuGH-Vorlage vom 24.06.2020; Aktenzeichen 5 AZR 55/19 (A))

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 22.11.2017 (29 Ca 1854/17) abgeändert.

    1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Antrittsprämie iHv. 255.000,-- US-Dollar (USD) brutto zu zahlen.
    2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ausstehendes Gehalt iHv. 215.500,-- USD brutto zu zahlen.
    3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum vom 01.09.2016 bis zum 31.07.2017 425.000,-- USD brutto zu zahlen nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 42.500,-- USD seit 16.09.2016, 16.10.2016, 16.11.2016, 16.12.2016, 16.01.2017, 16.02.2017, 16.03.2017, 16.04.2017, 16.05.2017, 16.06.2017 und 16.07.2016.
    4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet ist für die steuerlichen Nachteile, die dem Kläger durch die Nachzahlung rückständigen Gehalts gemäß Nr. 3 entstehen.
    5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 81,15 Euro zu zahlen.
    6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu bezahlen,

      • -

        auf die Forderung gemäß Nr. 1 seit 04.05.2017

      • -

        auf die Forderung gemäß Nr. 2 seit 04.05.2017

      • -

        auf die Forderung gemäß Nr. 4 seit 27.07.2017

    7. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum 01.08.2017 bis zum 30.11.2017 170.000,-- USD brutto zu zahlen nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 42.500,-- USD seit 16.08.2017, 16.09.2017, 16.10.2017 und 16.11.2017.
  • II.

    Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf der Grundlage einer Patronatsvereinbarung auf die Zahlung v.a. von Annahmeverzugsvergütung in Anspruch.

Der Kläger war auf der Grundlage eines Service Agreements ab 30. September 2015 für die Beklagte als Deputy Vice President ...

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