Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorrang des § 7 Abs. 3 BUrlG bei Fristen auch in der Elternzeit. Kürzungserklärung des Arbeitgebers während Bestand des Arbeitsverhältnisses. Null-Abrechnung über Urlaub als wirksame Kürzungserklärung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Fristenregime der §§ 24 Satz 2 MuSchG und 17 Abs. 2 BEEG geht § 7 Abs. 3 BUrlG vor (Anschluss an BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 -).

2. Die Anpassung des Urlaubsanspruchs nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG an die durch die Elternzeit ausgesetzte Arbeitspflicht (Kürzungsrecht) bedarf einer rechtsgeschäftlichen Erklärung des Arbeitgebers, die dem/der Arbeitnehmer/in noch während des Bestands des Arbeitsverhältnisses zugehen muss (Anschluss an BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 -).

3. Die rechtsgeschäftliche Erklärung kann im Einzelfall auch in der Übersendung einer abschließenden Entgeltabrechnung liegen, die den Urlaubsanspruch in Abweichung zu vorangegangenen und dem/der Arbeitnehmer/in zugegangenen Abrechnungen mit "Null" ausweist.

 

Normenkette

MuSchG § 24 S. 2; BEEG § 17 Abs. 1-3; BUrlG § 7 Abs. 3; GewO § 108 Abs. 1; ZPO § 92 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Ulm (Entscheidung vom 12.10.2020; Aktenzeichen 4 Ca 123/20)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 12. Oktober 2020 (4 Ca 123/20) teilweise abgeändert.

    1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.043,68 EUR brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 28. April 2020 zu bezahlen.
    2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • II.

    Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

  • III.

    Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu 77,2 Prozent, der Beklagte zu 22,8 Prozent zu tragen.

  • IV.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltungsansprüche sowie über die Verpflichtung des Beklagten zur Korrektur einer Entgeltabrechnung.

Die Klägerin war beim Beklagten seit 1. März 2012 als Physiotherapeutin beschäftigt. Sie bezog ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt von 2.180,00 Euro. Die Klägerin arbeitete in einer Vier-Tage-Woche. Der vertraglich vereinbarte Urlaubsanspruch betrug 25 Urlaubstage pro Jahr. Unter § 8 des Arbeitsvertrages vereinbarten die Parteien eine Ausschlussklausel, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach Zugang der letzten Gehaltsabrechnung geltend gemacht werden müssen, anderenfalls sie verwirkt sind.

Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis selbst mit Schreiben vom 20. Januar 2020 (Bl. 22 der arbeitsgerichtlichen Akte) zum 29. Februar 2020. Mit einem auf den 27. März 2020 datierten Schreiben (Bl. 23 der arbeitsgerichtlichen Akte), welches der Klägerin aber bereits am 29. Februar 2020 zuging, bestätigte der Beklagte der Klägerin den Erhalt des Kündigungsschreibens. Neben der Meldebescheinigung zur Sozialversicherung und Lohnsteuerbescheinigungen übersandte der Beklagte der Klägerin mit diesem Bestätigungsschreiben zugleich eine "abschließende Entgeltabrechnung für Februar 2020" (Bl. 111 der arbeitsgerichtlichen Akte). In dieser Abrechnung wurden die Positionen "Url. Vorjahr", "Url. lfd. Jahr", "Url. genommen" und "Restanspruch" jeweils mit "0,00" aufgeführt.

Die Klägerin ist Mutter zweier Kinder, die am X. Juni 20XX (F.) und am XX. November 20XX (L.) geboren sind. Ab 14. November 2014 bis zuletzt erbrachte die Klägerin keinerlei Arbeitsleistung mehr für den Beklagten. Die Klägerin befand sich im gesamten Zeitraum durchgehend entweder in einem Beschäftigungsverbot, in Mutterschutz oder in Elternzeit.

Der Resturlaubsanspruch der Klägerin vor Beginn des ersten Beschäftigungsverbots im Jahre 2014 betrug fünf Urlaubstage.

Die Klägerin erhielt vom Beklagten Entgeltabrechnungen zugesandt bis Oktober bzw. November 2016 (Bl. 53 ff der arbeitsgerichtlichen Akte). Die Abrechnung für den Monat November 2016 (Bl. 72 der arbeitsgerichtlichen Akte) wies folgende Positionen aus: "Url. Vorjahr 20,00", "Url. lfd. Jahr 25,00", "Url. genommen 0,00" und "Restanspruch 45,00".

Für den Zeitraum danach erstellte der Beklagte weiterhin Abrechnungen (Bl. 73 ff der arbeitsgerichtlichen Akte), die, mit Ausnahme der bereits o.g. Abrechnung für Februar 2020, der Klägerin jedoch nicht zugeleitet wurden. Die Klägerin nahm von diesen Abrechnungen erst durch Vorlage in diesem Verfahren Kenntnis. In diesen Abrechnungen wurde die Ausweisung von Urlaubsansprüchen fortgeführt bis zur Abrechnung Dezember 2017 (Bl. 85 der arbeitsgerichtlichen Akte), die mit einem "Restanspruch 70,00" endete. Ab Januar 2018 (Bl. 86 ff der arbeitsgerichtlichen Akte) bis Dezember 2018 wurden "Url. Vorjahr", Url. lfd. Jahr", Url. genommen" und "Restanspruch" jeweils nur noch mit "0,00" ausgewiesen. Im Zeitraum Januar 2019 (Bl. 98 ff der arbeitsgerichtlichen Akte) bis Dezember 2019 wurden die Positionen "Url. lfd. Jahr" und "Restanspruch" wieder mit jeweils "25,00" ausgewiesen. Ab Januar 2020 (Bl. 110 der arbeitsgerichtlichen Akte) wurden alle Positionen wieder auf "0,00" gestellt.

Die Klägerin meinte, ihr stehe ein Urlaubsabgeltu...

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