Entscheidungsstichwort (Thema)

Wartezeitkündigung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin ohne Durchführung eines Präventionsverfahrens. Unbegründete Entschädigungsklage wegen Nichtdurchführung des Präventionsverfahrens innerhalb der Wartezeit

 

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, vor Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Beschäftigten innerhalb der Wartezeit ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX durchzuführen, um diskriminierungsrechtliche Ansprüche zu vermeiden. Die Unterlassung des Präventionsverfahrens hat somit nicht nur kündigungsschutzrechtlich, sondern auch diskriminierungsrechtlich keine Rechtsfolgen (im Anschluss an BAG 28.06.2007 - 6 AZR 750/06 und BAG 24.01.2008 - 6 AZR 96/07).

 

Normenkette

AGG § 3 Abs. 1 S. 2, § 7 Abs. 1, § 15 Abs. 2; ArbGG § 2 Abs. 4; SGB IX § 84 Abs. 1, § 90 Abs. 1 Nr. 1, § 97 Abs. 3; LPVG BW § 85 Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 23.10.2013; Aktenzeichen 29 Ca 3414/13)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 21.04.2016; Aktenzeichen 8 AZR 402/14)

 

Tenor

  • 1.

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.10.2013 - 29 Ca 3414/13 - wird zurückgewiesen.

  • 2.

    Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

  • 3.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht.

Die am 03.08.1954 geborene Klägerin besitzt einen Abschluss als Diplomökonomin an der Universität T. Nach der Immigration in die Bundesrepublik Deutschland war sie von 1985 bis 2004 bei der S. AG in verschiedenen Funktionen tätig. Von 2004 bis Februar 2011 übte sie verschiedene Funktionen bei der Firma H. Management GmbH, zuletzt als kaufmännische Regionalleiterin aus.

Im Jahr 2009 erlitt die Klägerin einen Burnout. Seit 2009, ggf. auch erst seit 2010 ist die Klägerin als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 50 % anerkannt. Ob der Grad der Behinderung auch auf den Burnout im Jahr 2009 zurückzuführen ist, ist zwischen den Parteien streitig.

Das Arbeitsverhältnis mit der Firma H. endete am 28.02.2011 aus betriebsbedingten Gründen. Im Jahr 2012 bewarb sich die Klägerin beim LA Baden-Württemberg auf eine Stelle als Leiterin der Organisationseinheit 011 (Qualitätsmanagement/Controlling). Am 03.09.2012 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag, wonach die Klägerin ab 01.10.2012 als Vollzeitbeschäftigte für Tätigkeiten der Entgeltgruppe 13 im LA eingestellt werde (Anlage BK 1). Nach § 3 des Arbeitsvertrags betrug die Probezeit sechs Monate. Das monatliche Bruttoentgelt der Klägerin betrug € 3.725,66.

Für die Einarbeitungsphase erstellte das LA einen Einarbeitungsplan (Anlage 2 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 10.10.2013). In welchem Umfang der Einarbeitungsplan durchgeführt wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin erhielt außerdem die Gelegenheit, an zwei EFQM-Modulen der Deutschen Gesellschaft für Qualität teilzunehmen. Sie schloss diese Ausbildung am 26.01.2013 erfolgreich ab.

Am 18. Januar 2013 teilte der Präsident des LAs, Herr S., der Hauptschwerbehindertenvertretung der P. beim Innenministerium Baden-Wüttemberg im Rahmen eines Gesprächs mit, dass die Klägerin seine Erwartungen bislang nicht erfüllt habe. Am 11.02.2013 führte Herr S. mit der Klägerin ein Personalgespräch. Im Rahmen dieses Gesprächs teilte Herr S. der Klägerin mit, er beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Probezeit zu beendigen. Unter dem Datum des 14.02.2013 erstellte Herr S. hierzu einen Eignungsbericht. Hierin hielt Herr S. fest, die Klägerin habe die fachlichen Anforderungen und Erwartungen nicht erfüllen können. Insbesondere habe sie die Aufträge zur Erstellung einer Dienstanweisung zum Mitarbeiterfeedback und zum Wissens- und Erfahrungstransfer nicht erledigt. Es sei nicht zu erwarten, dass die erkennbaren Defizite behoben werden könnten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Eignungsbericht (Anlage 1 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 11.07.2013) verwiesen.

Unter dem Datum des 13.02.2013 übersandte der Hauptschwerbehindertenvertreter, Herr Dr. K., dem Innenministerium eine Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin (Anlage 3 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 10.10.2013). Mit Schreiben vom 20.02.2013 (Anlage 1 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 10.10.2013) hörte das Innenministerium den Hauptpersonalrat der P. zu der beabsichtigten Probezeitkündigung an. Im Briefkopf des Schreibens ist auch die Hauptschwerbehindertenvertretung der P. aufgeführt. Das Schreiben ging am 21.02.2013 an den Hauptpersonalrat und den Hauptschwerbehindertenvertreter per Mail ab. Der Hauptschwerbehindertenvertreter gab auf das Schreiben vom 20.02.2013 hin keine weitere Stellungnahme ab. Ob er hierauf nach einem Gespräch mit Herrn O. ausdrücklich verzichtete, ist zwischen den Parteien streitig. Der Vorsitzende des Hauptpersonalrats teilte dem Innenministerium mit Mail vom 25.02.2013 (Anlage BK 5) n...

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