Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Weitergeltung von Tarifnormen, die auch einzelvertraglich in Bezug genommen sind und ihrerseits eine Verweisung auf eine gesetzliche Bezugsgröße enthalten, nach Betriebsübernahme durch einen nicht tarifgebundenen Erwerber

 

Leitsatz (amtlich)

1. Den nach § 613a Absatz 1 Satz 2 BGB übernommenen Arbeitnehmern bleiben im Wege der Besitzstandswahrung auf arbeitsvertraglicher Ebene nur die im Zeitpunkt des Betriebsüberganges bestehenden tariflichen Rechte erhalten; an der tariflichen Weiterentwicklung nehmen sie nicht teil.

2. Dies gilt auch dann, wenn die tarifliche Norm eine dynamische Verweisung auf eine gesetzliche Bezugsgröße enthält.

3. Die für die Fälle der tariflichen Nachwirkung gemäß § 4 Absatz 5 TVG entwickelten Grundsätze des BAG (AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung) zum Umfang der Fortgeltung einer eine dynamische Verweisung enthaltenden tariflichen Norm nach Ablauf eines Tarifvertrages gelten entsprechend im Fall der Betriebsübernahme durch einen nicht tarifgebundenen Erwerber für die Inhaltsbestimmung der zwischen ihm und dem übernommenen Arbeitnehmer auf arbeitsvertraglicher Ebene fortbestehenden, aus einer Tarifnorm resultierenden Rechte und Pflichten gemäß § 613a Absatz 1 Satz 2 BGB.

 

Normenkette

BGB § 613a Abs. 1 S. 2; TVG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Urteil vom 15.06.1999; Aktenzeichen 14 Ca 3900/98)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom15.06.1999 – Az.: 14 Ca 3900/98 – abgeändert

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltansprüche der Klägerin aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.

Die Klägerin war vom 15.02.1989 bis 31.12.1993 beim … beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Tarifbindung der zwischen der Tarifgemeinschaft … (im folgenden kurz ….) und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (im folgenden kurz: ÖTV) geschlossene Tarifvertrag über die Gewährung von Leistungen betreffend die Übernahme des Arbeitnehmeranteils zur Rentenversicherung (im folgenden kurz: TV Arbeitnehmeranteil) vom 25.07.1975 in der Fassung vom 17.12.1980 (vgl. ArbG Akten Blatt 9, 10) Anwendung. Zudem war im Arbeitsvertrag der Klägerin aufgenommen worden, dass „der Tarifvertrag” in seiner jeweiligen Fassung Bestandteil des Arbeitsvertrages sei.

Der TV Arbeitnehmeranteil enthielt folgende Bestimmung:

§ 2

Die Mitarbeiter erhalten außer der Vergütung den Betrag, den sie aufgrund ihrer Rentenversicherungspflicht von ihrem rentenversicherungspflichtigen Einkommen als Beitrag zu zahlen haben.

§ 3

Dieser Betrag errechnet sich wie folgt:

Auszugehen ist vom rentenversicherungspflichtigen Verdienst des Mitarbeiters. Von diesem ist der Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung zu berechnen. Der sich dabei ergebende Betrag ist dem rentenversicherungspflichtigen Verdienst zuzuschlagen. Von diesem sich so ergebenden Betrag ist der Arbeitnehmeranteil zur Rentenversicherung erneut zu berechnen. Sich ergebende Pfennigbeträge werden auf volle DM aufgerundet.

Dieser Betrag unterliegt nach den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen den Abzügen für Steuern und Sozialversicherung, die vom Mitarbeiter zu tragen sind. (…)

Dieser Tarifvertrag wurde zum 31.12.1994 wirksam gekündigt, jedoch am 27.01.1995 rückwirkend ab 01.01.1995 bis zum 31.12.1995 befristet wieder in Kraft gesetzt.

Zum 01.01.1994 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch Betriebsübergang auf die Beklagte über. Diese war und ist nicht Mitglied der … Zuvor war am 26.08.1993 zwischen dem … und dem dort gebildeten Gesamtbetriebsrat eine „Rahmenvereinbarung” im Zusammenhang mit der auch den Arbeitsplatz der Klägerin betreffenden Neuorganisation getroffen worden. Dieser Rahmenvereinbarung (vgl. ArbG – Akten Blatt 132–147) war die Beklagte beigetreten. In Nr. 2.2. enthält diese Vereinbarung folgende Regelung:

„Der Arbeitgeber verpflichtet sich gegenüber den übergegangenen (Arbeitnehmer/Innen) für einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren, die jeweils aktuellen Tarifverträge des … anzuwenden. Zwischen Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat besteht Einvernehmen darüber, dass auch danach die materiellen Arbeitsbedingungen, insbesondere das Entgelt, in einem Tarifvertrag geregelt sein sollen. Durch geeignete Übergangsvorschriften ist sicherzustellen, dass beim Wechsel des tariflichen Entlohnungssystems für die/den einzelne(n) Arbeitnehmer/In kein wirtschaftlicher Nachteil eintritt. (….)”

Die Beklagte bezahlte in den Jahren 1994 und 1995 an die Klägerin monatlich den sich aus der Regelung des TV Arbeitnehmeranteil jeweils ergebenden Betrag. Dabei berücksichtigte sie auch die in diesen Jahren vorgenommenen Erhöhungen des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung. In den Jahren 1996 und 1997 bezahlte sie an die Klägerin weiter als Zuschuss zum Arbeitnehmeranteil einen Betrag in Höhe von jeweils DM 8.712,00. Dies entsprach den im Jahr 1...

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