Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegungsregeln für Betriebsvereinbarungen. Begriff der "Unternehmensziele" in der Betriebsvereinbarung. Bonuszahlung aufgrund variabler Vergütung nach Betriebsvereinbarung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Regeln zur Auslegung von Betriebsvereinbarungen folgen den Regeln zur Auslegung von Gesetzen.
2. Eine jahrelange Praxis bei der Zahlung einer variablen Vergütung ist unerheblich, sofern jedes Jahr eine neue Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird.
3. Die Festlegung eines Bonus mit 0% bei der Unterschreitung des Schwellenwerts von 80% entspricht billigem Ermessen nach § 315 BGB.
Normenkette
ArbGG § 89 Abs. 2; BGB § 315; BetrVG § 77 Abs. 4 S. 1; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Ulm (Entscheidung vom 07.10.2019; Aktenzeichen 4 Ca 322/18) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 07.10.2019 - 4 Ca 322/18 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer variablen Vergütung für das Jahr 2017.
Wegen des erstinstanzlichen unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien einschließlich ihrer Rechtsansichten wird auf den nicht angegriffenen Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Bezug genommen und verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 07.10.2019 der Klage unter Zurückweisung im Übrigen in Höhe von € 18 735,76 stattgegeben. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird vollumfänglich auf die Entscheidungsgründe unter I. Bezug genommen und verwiesen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 05.12.2019 zugestellte Urteil mit beim Berufungsgericht am 06.12.2019 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und sie mit beim Landesarbeitsgericht am 31.01.2020 eingegangenem Schriftsatz ausgeführt.
Sie rügt auf der Grundlage ihres innerhalb der Begründungsfrist eingegangenen Schriftsatzes vom 31.01.2020, der Gegenstand der Berufungsverhandlung war und auf den Bezug genommen und verwiesen wird, näher bestimmt fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts insbesondere insoweit, als der sogenannte BPF nicht auf den Geschäftsbereich der Klägerin beschränkt sei, auch Geschäftsziele des Unternehmens und des Konzerns seien zu berücksichtigen. Sie habe dies in der Vergangenheit auch immer kommuniziert, dass globale Unternehmensziele von T. bei der Bonusberechnung berücksichtigt würden. Den Schwellenwert von 80 % (auf die einzelnen Bestandteile des BPF) bzw. 50 % (auf den skalierten BPF) habe der T.-Konzern bereits 2013 weltweit eingeführt. Diese Schwellenwerte habe die Beklagte sodann 2014 übernommen und in das nationale Bonussystem implementiert. Die Anwendung eines Schwellenwertes von 80 % sei bereits in Ziff. V. 1. der BV Bonus 2017 angelegt. Ein Geschäftsverlauf von 80 % entspreche skaliert einem Faktor von 0,5. Der Schwellenwert diene der Sicherstellung einer Minimalzielerreichung. Ob ein Unternehmen erfolgreich ist, zeige sich unter anderem darin, zu welchem Grad die vom Unternehmen festgesetzten Unternehmensziele erreicht werden. Unterschreite ein Unternehmen oder Geschäftsbereich seine Ziele deutlich, so könne nicht von einem erfolgreichen Jahr gesprochen werden. Der T.-Konzern habe sich 2017 in einer außergewöhnlich desaströsen Situation befunden. Seine Fortexistenz wäre ohne einschneidende Maßnahmen - wie die Nichtausschüttung der Dividenden, die Entscheidung zur Kürzung von weltweit 14 000 Stellen und der Festsetzung der Boni auf - nicht gesichert gewesen.
Die Beklagte beantragt:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 7. Oktober 2019 (4 Ca 322/18) wird abgeändert. Die Klage wird (richtig: insgesamt) abgewiesen.
Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das erstinstanzliche Urteil auf der Grundlage ihres Schriftsatzes vom 12.03.2020, auf den sowie auf die weiteren Schriftsätze der Parteien (Klägerin vom 12.06.2020; Beklagte vom 10.06.2020 und 17.06.2020) nebst Sitzungsprotokoll vom 19.06.2020 Bezug genommen und verwiesen wird.
Entscheidungsgründe
I.
Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Klägerin steht für das Jahr 2017 ein Bonus in Höhe von jedenfalls € 18 735,76 brutto zu. Soweit das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben hat, schließt sich die Berufungskammer zunächst dessen Ausführungen in den Entscheidungsgründen seines Urteils vom 07.10.2019 an und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ausdrücklich fest. Die Begründung des Arbeitsgerichts erscheint für die Berufungskammer überzeugender, will aber nicht verhehlen, dass die Beurteilung nicht zwingend ist. Die Berufungskammer schließt sich auch der Ansicht der dritten Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg zum Beispiel in ihrem Urteil vom 05.09.2019 (3 Sa 13/19) an und macht sich auch deren Begründung ausdrücklich zu eigen. Die Berufungsangriffe geben Anlass zu folgenden ergänzenden Ausführungen:
1. Der Anspruch der Klägerin auf einen Bonus für...