Verfahrensgang
ArbG Ulm (Urteil vom 06.07.1993; Aktenzeichen 5 Ca 131/93) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 06.07.1993 – 5 Ca 131/93 – abgeändert.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Parteien besteht Streit darüber, ob die Beklagte/Berufungsklägerin das seit 12.11.1984 bestehende Arbeitsverhältnis der Klägerin/Berufungsbeklagten als Näherin wegen der Stillegung ihrer Betriebsstätte in … (…) durch Schreiben vom 17.03.1993 wirksam zum 30.04.1993 gekündigt hat.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Maschenindustrie. Sie hat einen Betrieb in …. In diesem befinden sich die Verwaltung, die Musternäherei, eine kleine Produktionsnäherei, die Legerei und der Versand. Ihrer Darstellung zufolge beschäftigte sie dort 37 Arbeitnehmer, jetzt noch 30 Arbeitnehmer. Die Arbeit beginnt dort um 07.00 Uhr. Im Jahr 1993 gab es für den Betrieb in … einen Betriebsrat, den die dortige Belegschaft gewählt hatte. Nach der Darstellung der Beklagten hat die Belegschaft des Betriebes in … seit mehr als 20 Jahren einen Betriebsrat gewählt.
Seit 1956 unterhielt die Beklagte außerdem eine Betriebsstätte in …, etwa 20 bis 25 Straßenkilometer von … entfernt. Neben einem Zuschneider und der Nähsaalaufsicht beschäftigte sie dort Näherinnen und Legerinnen, zuletzt insgesamt 13 Arbeitnehmer, die dort nach den Vorgaben, die aus dem Betrieb in … kamen, tätig waren. Zwischen dem Betrieb in … und der Betriebsstätte in … verkehrte ein Transportfahrzeug, mit dem ein bei der Beklagten beschäftigter Fahrer Stoffe nach Hausen und die dort gefertigten Produkte nach … zurücktransportierte. Nach der Darstellung der Beklagten fuhr dieser Transporter im Regelfall einmal pro Tag von … nach … und zurück.
Für die Betriebsstätte in … war nie ein Betriebsrat gewählt worden. Die dort beschäftigt gewesenen Arbeitnehmer hatten auch bei der Wahl des Betriebsrates in … nicht mitgewählt. Zu in … stattfindenden Betriebsversammlungen waren sie nicht eingeladen worden.
Zwischen … und … gab es schon vor 1993 keine Zugverbindung. Man kann von … mit Bussen des öffentlichen Nahverkehrs über … nach … und zurück fahren. Auf die Auskünfte des Landratsamtes – Nahverkehrsamtes – … und der Regionalverkehr Alb-Bodensee GmbH vom 18.04.1994 (Blatt 83 bis 85 der Akten) wird wegen der bestehenden Verbindungen verwiesen.
Die am 11.02.1955 geborene Klägerin war seit 12.11.1984 als Näherin in der Betriebsstätte … beschäftigt. Sie arbeitete zuletzt 31,75 Stunden pro Woche und verdiente DM 1 800,00 brutto monatlich. Wegen der Arbeitsbedingungen im einzelnen wird auf die Kopie des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 05.11.1984 (Anlage Blatt 91 der Akten) verwiesen.
Entsprechend einem im März 1993 gefaßten Beschluß hat die Beklagte die Produktion in der Betriebsstätte … zum 30.06.1993 eingestellt. Sie hat die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer, die dort beschäftigt waren, fristgerecht gekündigt; das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch Schreiben vom 17.03.1993 zum 30.04.1993. Auf die Kopie des Kündigungsschreibens (Blatt 7 der Akten) wird im übrigen verwiesen. Zu diesen Kündigungen hat sie den Betriebsrat, der in ihrem Betrieb … gewählt worden war, nicht gehört.
Mit ihrer am 23.03.1993 eingereichten Klage wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Da es sich bei der Betriebsstätte in … um einen unselbständigen Teilbetrieb des Betriebes in … gehandelt habe, hätte die Beklagte den in … gewählten Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 102 Absatz 1 BetrVG anhören müssen. Die Kündigung sei außerdem sozial ungerechtfertigt, weil die Beklagte es unterlassen habe, unter Einbeziehung der im Betrieb in … beschäftigten Näherinnen eine Sozialauswahl vorzunehmen. Eine Vielzahl der im Betrieb … … beschäftigten Näherinnen sei sozial weniger schutzwürdig als sie.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.03.1993 nicht aufgelöst worden ist, sondern unverändert über den 30.04.1993 hinaus fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte, welche die Kündigung für rechtswirksam hält, hat erwidert, bei der Betriebsstätte in … habe es sich um einen selbst betriebsratsfähigen Betriebsteil gehandelt, weil sie im Hinblick auf die ungünstigen Verkehrsverbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und der im Winter auch ungünstigen Straßenverhältnisse räumlich weit vom Hauptbetrieb … entfernt gewesen sei. Von der Selbständigkeit der Betriebsstätte … sei auch das Arbeitsamt … in seinem Schreiben vom 07.05.1993 hinsichtlich einer von ihr erstatteten Anzeige nach § 17 KSchG ausgegangen. Auf die Ablichtung dieses Schreibens (Blatt 20 der Akten) wird wegen der Einzelheiten verwiesen. Da es sich um zwei selbständige Betriebe im Sinne des Kündigungsschutzg...