Verfahrensgang
ArbG Ulm (Urteil vom 06.07.1993; Aktenzeichen 5 Ca 148/93) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 06.07.1993 – 5 Ca 148/93 – abgeändert.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Parteien besteht Streit darüber, ob die Beklagte/Berufungsklägerin das seit 29.09.1958 bestehende Arbeitsverhältnis der Klägerin/Berufungsbeklagten als Näherin wegen der Stillegung ihrer Betriebsstätte in … durch Schreiben vom 17.03.1993 wirksam zum 30.06.1993 gekündigt hat.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Maschenindustrie. Sie hat einen Betrieb in … In diesem befinden sich die Verwaltung, die Musternäherei, eine kleine Produktionsnäherei, die Legerei und der Versand. Ihrer Darstellung zufolge beschäftigte sie dort 37 Arbeitnehmer, jetzt noch 30 Arbeitnehmer. Die Arbeit beginnt dort um 07.00 Uhr. Im Jahr 1993 gab es für den Betrieb in … einen Betriebsrat, den die dortige Belegschaft gewählt hatte. Nach der Darstellung der Beklagten hat die Belegschaft des Betriebes in … seit mehr als 20 Jahren einen Betriebsrat gewählt.
Seit 1956 unterhielt die Beklagte außerdem eine Betriebsstätte in …, etwa 20 bis 25 Straßenkilometer von … entfernt. Neben einem Zuschneider und der Nähsaalaufsicht beschäftigte sie dort Näherinnen und Legerinnen, zuletzt insgesamt 13 Arbeitnehmer, die dort nach den Vorgaben, die aus dem Betrieb in … kamen, tätig waren. Zwischen dem Betrieb in … und der Betriebsstätte in … verkehrte ein Transportfahrzeug, mit dem ein bei der Beklagten beschäftigter Fahrer Stoffe nach … und die dort gefertigten Produkte nach … zurücktransportierte. Nach der Darstellung der Beklagten fuhr dieser Transporter im Regelfall einmal pro Tag von … nach … und zurück.
Für die Betriebsstätte in … war nie ein Betriebsrat gewählt worden. Die dort beschäftigt gewesenen Arbeitnehmer hatten auch den Betriebsrat in … nicht mitgewählt und auch keine Wahlbewerber gestellt. Zu in … stattfindenden Betriebsversammlungen waren sie nicht eingeladen worden. Mitteilungen, die in der Betriebsstätte … ausgehängt wurden, sind auch von einem Betriebsratsmitglied unterzeichnet. Auf die Ablichtungen Blatt 15 bis 19 und 21 der Akten wird verwiesen.
Zwischen … und … gab es schon vor 1993 keine Zugverbindung. Man kann von … mit Bussen des öffentlichen Nahverkehrs über … nach … und zurück fahren. Auf die Auskünfte des Landratsamtes – Nahverkehrsamtes – … und der Regionalverkehr … GmbH vom 18.04.1994 (Blatt 83 bis 85 der vorliegenden Akte 2 Sa 86/93) wird wegen der bestehenden Verbindungen verwiesen.
Die am 18.03.1944 geborene Klägerin war seit 29.09.1958 als Näherin in der Betriebsstätte … beschäftigt. Sie arbeitete zuletzt 21,5 Stunden pro Woche und verdiente DM 1 300,00 brutto monatlich.
Entsprechend einem im März 1993 gefaßten Beschluß hat die Beklagte die Produktion in der Betriebsstätte … zum 30.06.1993 eingestellt. Sie hat die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer, die dort beschäftigt waren, fristgerecht gekündigt; das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch Schreiben vom 17.03.1993 zum 30.06.1993. Auf die Kopie des Kündigungsschreibens (Blatt 4 der Akten) wird im übrigen verwiesen. Zu diesen Kündigungen hat sie den Betriebsrat, der in ihrem Betrieb … gewählt worden war, nicht gehört.
Mit ihrer am 23.03.1993 eingereichten Klage wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Da es sich bei der Betriebsstätte in … um einen unselbständigen Teilbetrieb des Betriebes in … gehandelt habe, hätte die Beklagte den in … gewählten Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 102 Absatz 1 BetrVG anhören müssen. Dieser Betriebsrat sei auch zuständig gewesen für die Betriebsstätte …. Vereinbarungen, welche die Beklagte mit dem in … bestehenden Betriebsrat getroffen habe, hätten auch für die in … Beschäftigten gegolten. Die Kündigung sei außerdem sozial ungerechtfertigt, weil die Beklagte es unterlassen habe, unter Einbeziehung der im Betrieb in … beschäftigten Näherinnen eine Sozialauswahl vorzunehmen. Eine Vielzahl der im Betrieb … beschäftigten Näherinnen sei sozial weniger schutzwürdig als sie. Zudem sei die Schließung der Betriebsstätte … offensichtlich willkürlich, weil sie nicht auf Auftragsmangel beruhe und in keinem Verhältnis zu den Nachteilen stehe, welche ihr daraus erwüchsen.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.03.1993 nicht aufgelöst worden ist, sondern unverändert über den 30.06.1993 hinaus fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte, welche die Kündigung für rechtswirksam hält, hat erwidert, bei der Betriebsstätte in … habe es sich um einen selbst betriebsratsfähigen Betriebsteil gehandelt, weil sie im Hinblick auf...