Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen der Drohung des Arbeitnehmers, arbeitsunfähig zu werden, falls er keine Hilfe erhalte
Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitnehmer, der seinem Arbeitgeber droht krank zu werden, falls er keine Hilfe erhalte und dann einen ihm zu seiner Unterstützung gestellten Arbeitnehmer ablehnt, verletzt seine Pflicht zur Rücksichtnahme. Eine darauf gestützte Kündigung des Arbeitgebers ist jedenfalls als ordentliche gerechtfertigt.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1; BetrVG § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 09.11.1995; Aktenzeichen 10 Ca 978/95) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart. Kammern Ludwigsburg, vom 09.11.1995 – 10 Ca 978/95 – abgeändert.
2. Die Klage wird abgewiesen, soweit sich der Kläger mit ihr auch gegen die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 31.07.1995 wendet, sowie hinsichtlich seines Weiterbeschäftigungsbegehrens.
3. Im übrigen wird die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen.
4. Die Kosten beider Rechtszüge werden gegeneinander aufgehoben.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Parteien besteht auch im Berufungsverfahren noch Streit darüber, ob die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung, welche die Beklagte/Berufungsklägerin durch Schreiben vom 10.05.1995 erklärt hat, das mit dem Kläger/Berufungsbeklagten bestehende Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang, jedenfalls aber zum 31.07.1995 beendet hat, sowie darüber, ob im Fall der Unwirksamkeit der Kündigung das Arbeitsverhältnis auf den hilfsweise gestellten Antrag der Beklagten gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen ist.
Zwischen dem am … 1941 geborenen, verheirateten und einer Person unterhaltspflichtigen Kläger und der Beklagten, einem Unternehmen der Sägeindustrie mit mehreren hundert Arbeitnehmern, besteht seit 01.02.1990 ein Arbeitsverhältnis, aufgrund dessen die Beklagte den Kläger in ihrem Werk … gegen ein Entgelt von zuletzt DM 3103,61 brutto monatlich in der Frühschicht als Versandarbeiter im Kleinteileversand beschäftigt, für den ein ca. 43 m² großer Raum zur Verfügung steht, wegen dessen Gestaltung auf die Skizze Blatt 105 der Akten verwiesen wird. Der Kläger hatte vom 18.04. bis 28.04.1995 Erholungsurlaub. Er wurde in dieser Zeit durch einen anderen Mitarbeiter der Beklagten vertreten; gleichwohl war eine Reihe von Sendungen liegengeblieben. Dies veranlaßte den Kläger, am 02.05.1995 gegenüber dem Leiter Auftragsabwicklung und Logistik, dem Zeugen …, in Gegenwart des Betriebsratsmitgliedes und am 03.05.1995 gegenüber Herrn … dem Vertreter von Herrn … Äußerungen zu machen, deren Wortlaut im einzelnen streitig ist. Am 04.05. und 05.05.1995 arbeitete der Kläger nicht. Er gab bei der Beklagten am 04.05.1995 eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab, in der ihm der behandelnde Arzt Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 04.05. bis 06.05.1995 attestierte.
Die Beklagte, die Anlaß gesehen hatte, den Kläger unter dem 08.01.1991, 25.03.1991 und 23.03.1992 wegen unentschuldigten Fembleibens von der Arbeit und unter dem 06.05.1994 wegen der Weigerung, die Anweisung eines Vorgesetzten auszuführen, abzumahnen – auf die Kopien der Abmahnungen (Blatt 45, 46, 48 und 51 der Akten) wird insoweit verwiesen – hat das Arbeitsverhältnis des Klägers durch Schreiben vom 10.05.1995, auf dessen Ablichtung (Blatt 4 der Akten) wegen der Einzelheiten verwiesen wird, fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.07.1995 gekündigt. Zuvor hatte die Beklagte den Betriebsrat durch Anhörungsschreiben vom 04.05.1995 nebst Anlage, auf deren Ablichtung (Blatt 39 und 40 der Akten) wegen der Einzelheiten verwiesen wird, zu der von ihr beabsichtigten Kündigung gehört. Der Betriebsrat hat durch Schreiben vom 05.05.1995 hiergegen Bedenken erhoben und einer ordentlichen Kündigung widersprochen. Auf die Ablichtung der Stellungnahme des Betriebsrates (Blatt 42 der Akten) wird wegen der Einzelheiten verwiesen.
Mit seiner am 17.05.1995 eingereichten Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung vom 10.05.1995, die er sowohl als fristlose als auch als ordentliche mangels eines sie rechtfertigenden wichtigen Grundes bzw. mangels eines Grundes im Sinne von §1 Absatz 2 Satz 1 KSchG für rechtsunwirksam hält. Er hat vorgebracht, er habe weder am 02.05. noch am 03.05.1995 angedroht, daß er krankmachen werde, falls ihm kein Helfer zugeteilt werde. Zum Zeugen … habe er am 02.05.1995 gesagt, wenn er in der Spätschicht keine Hilfe bekomme, komme er am Mittwoch wieder. Am Donnerstag sei er dann beim Arbeitsamt und suche sich eine andere Arbeit; er sei mit … nicht verheiratet. Von Arbeitsunfähigkeit oder Krankheit sei keine Rede gewesen. Seine Äußerung sei lediglich als Kündigungsandrohung zu verstehen gewesen. Am 03.05.1995 habe er zu Herrn … gesagt, er solle nachmittags jemand schicken. Die Hilfe in der Frühschicht habe er abgelehnt, weil der Raum, in dem sich der Kleinteileversand befindet, nicht genügend Platz für zwei Mitarbeiter geboten hab...