Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmissbrauch einer unternehmerischen Organisationsentscheidung. Weiterbeschäftigungspflicht zu erheblich unterwertigen Arbeitsbedingungen
Leitsatz (redaktionell)
Eine Organisationsentscheidung die zum Wegfall des Arbeitsplatzes eines Arbeitnehmers führt, ist nicht schon deshalb willkürlich, weil sie im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unterliegen in einem früheren Bestandsschutzrechtstreit steht.
Die Frage der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung auf einem freien gleichwertigen oder mit schlechteren Arbeitsbedingungen versehenen Arbeitsplatz richtet sich nicht nach den arbeitsförderungsrechtlichen Zumutbarkeitskriterien.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2-3; BetrVG § 102 Abs. 1; SGB III § 121
Verfahrensgang
ArbG Reutlingen (Urteil vom 10.05.2004; Aktenzeichen 3 Ca 103/02) |
Tenor
1.Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 10.05.2004 – 3 Ca 103/02 – wird zurückgewiesen.
2.Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
3.Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen aufgrund der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 18.02.2002 mit Ablauf des 31.12.2002 geendet hat.
Der am 23.12.1959 geborene, zwischenzeitlich geschiedene und einem Kind unterhaltsverpflichtete Kläger war seit 01.01.1992 bei der Beklagten beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag zuletzt ein Arbeitsvertrag vom 07.05.1999 zugrunde. Hiernach war der Kläger Leiter des Bereich Marketing/Werbung (VW). Das Bruttomonatsgehalt des Klägers belief sich zuletzt auf DM 12.350,00 zuzüglich eines Urlaubsgelds von DM 8.517,30 und einer Weihnachtsgratifikation von DM 10.250,00. Daneben hatte der Kläger Anspruch auf eine ertragsabhängige Vergütung. Diese belief sich im Kalenderjahr 2001 für das Geschäftsjahr 2000 auf DM 50.000,00. Der geldwerte Vorteil des dem Kläger zur Privatnutzung überlassenen Dienstwagens betrug DM 1.664,70. Umgerechnet belief sich das durchschnittliche Bruttomonatseinkommen des Klägers zuletzt auf EUR 10.137,91.
Die Beklagte ist ein Hersteller moderner Wäge –, Informations-, Kommunikations- und FoodService-Technik. Am Hauptsitz in B. sind derzeit ca. 1400 Arbeitnehmer beschäftigt. Ein Betriebsrat besteht.
Das Unternehmen der Beklagten war im Zeitpunkt der Kündigung in Geschäftsführungs-Ressorts, Bereiche und Abteilungen gegliedert. Vorsitzender der Geschäftsführung war (und ist noch) der Geschäftsführer St.. Leiter des Geschäftsführungs-Ressorts „Vertrieb” war Herr Sch.. Diesem waren zum damaligen Zeitpunkt 7 Bereichsleiter unterstellt, darunter der Kläger. Der vom Kläger geleitete Bereich „Marketing/Werbung” untergliederte sich in die Abteilungen „Verkaufsförderung (VW-V)”, „Produktwerbung (VW-W)”, „Ausstellungen (VW-A)” und „Publik Relations (VW-P)”. Der Kläger war in Personalunion Leiter der Abteilung VW-V und Leiter des Bereichs VW. Für die Vertriebsfunktionen (VW-V, VW-W, VW-A) war Herr Sch. der direkte Fachvorgesetzte des Klägers. Für die Abteilung VW-P trug Herr St. die Verantwortung. Der gesamte Bereich umfasste 16 Arbeitnehmer.
Mit Schreiben vom 28.06.2001 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2001 aus verhaltensbedingten Gründen. Hintergrund der Kündigung war das nach Auffassung der Beklagten illoyale Verhalten des Klägers im Rahmen der Zusammenarbeit mit einer Werbeagentur C & K. In einem daraufhin beim Arbeitsgericht Reutlingen unter dem Az.: 3 Ca 251/01 geführten Kündigungsrechtsstreit gab das Arbeitsgericht Reutlingen auf die mündliche Verhandlung vom 28.01.2002 mit Urteil vom 26.04.2002 der Klage statt und wies hierbei auch einen Auflösungsantrag der Beklagten ab. Die Berufung der Beklagten wies das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 20.12.2002 zurück. Im Rahmen der Ausführungen zum Auflösungsantrag der Beklagten befasste sich das Landesarbeitsgericht auch mit einer zwischenzeitlich ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 12.03.2002 und bezeichnete diese als offensichtlich unwirksam. Daraufhin erklärte die Beklagte in dem zu dieser Kündigung anhängigen Kündigungsrechtsstreit (4 Ca 170/02) mit Schriftsatz vom 04.02.2003, dass sie an dieser Kündigung nicht mehr festhalte. Am 10.05.2004 nahm der Kläger die Klage zurück.
Bereits seit dem 10.11.2001 war der Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt. Im Januar des Jahres 2002 suchte die Beklagte über eine Personalberatungsfirma einen Leiter Marketing (Anlage K 2). Sie stoppte jedoch das Stellenbesetzungsverfahren Anfang Februar 2002. Am 05.02.2002 entschloss sich die Beklagte, den Bereich Marketing/Werbung (VW) neu zu ordnen. Es wurde beschlossen, den Bereich VW aufzulösen und in die Geschäftsführerstäbe Werbung (GF-W) und Vertriebsunterstützung (V-V) mit Wirkung zum 01.03.2002 aufzuteilen. Der Geschäftsführerstab Werbung umfasste die Abteilungen VW-W, VW-A und VW-P, der Stab Vertriebsunterstützung die Abteilung VW-V. Der erstgenannte Stab wurde Herrn St. unterstellt, der zweite Stab...