Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksame Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe. Unbegründete Feststellungsklage eines Unternehmens bei zutreffender Ermittlung der für das gesetzliche Quorum erforderlichen "Großen Zahl"
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Allgemeinverbindlicherklärung vom 24.02.2006 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren in den Fassungen vom 14.12.2004 und vom 15.12.2005, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 71 vom 11.04.2006, ist formell und materiell wirksam.
2. Die tarifgebundenen Arbeitgeber beschäftigten sowohl im Zeitpunkt der Bekanntmachung als auch zum Zeitpunkt der (rückwirkenden) Geltung der Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe nicht weniger als 50 vom Hundert der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer und die Allgemeinverbindlicherklärung erscheint im öffentlichen Interesse geboten.
3. Zur Ermittlung des in § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TVG a.F. vorgesehenen Quorums ist die Zahl der Arbeitnehmer, für die der VTV-Bau nach § 1 räumlich, betrieblich und persönlich anwendbar ist ("Große Zahl") und die Gesamtzahl derjenigen Arbeitnehmer, die von aufgrund Verbandsmitgliedschaft tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt werden ("Kleine Zahl"), in ein Verhältnis zu setzen. Dabei kommt es für die Ermittlung der "großen Zahl", also der Zahl der Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen, für den VTV-Bau nur auf die Zahl der Arbeitnehmer an, die in Betrieben oder Betriebsabteilungen beschäftigt sind, die von der beantragten Allgemeinverbindlicherklärung auch erfasst werden, so dass all diejenigen Arbeitnehmer, die in Betrieben oder Betriebsabteilungen nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV-Bau arbeiten und diejenigen Arbeitnehmer, die in Betrieben oder Betriebsabteilungen arbeiten, auf die sich nach den Anträgen der Tarifvertragsparteien die Allgemeinverbindlicherklärung nicht erstrecken soll, nicht unter den Geltungsbereich des VTV-Bau fallen.
4. Im Rahmen der von Amts wegen durchzuführenden Prüfung der gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TVG a.F. erforderlichen Anzahl der Beschäftigten ist zu berücksichtigen, dass eine exakte Feststellung nahezu unmöglich ist und deshalb eine sorgfältige Schätzung ausreicht. Erforderlich ist aber eine Ausschöpfung aller greifbaren Erkenntnismittel und eine möglichst genaue Auswertung des verwertbaren statistischen Materials.
5. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TVG a.F. eröffnet der zuständigen Behörde einen außerordentlich weiten Beurteilungsspielraum, so dass eine gerichtliche Überprüfung nur insoweit in Betracht kommt, als der Behörde wesentliche Fehler vorzuwerfen sind. Das folgt zum Einen daraus, dass nach dem Gesetzeswortlaut ein öffentliches Interesse nur "geboten erscheinen" muss, und zum Anderen die verfahrensmäßige Absicherung der Interessenabwägung eine ausreichende Gewähr dafür bietet, dass die für die Allgemeinverbindlicherklärung zuständige Behörde ihren kraft Gesetzes weiten Beurteilungsspielraum sachgemäß nutzt.
6. § 5 TVG a.F. ist verfassungskonform und verstößt auch nicht gegen sonstiges höherrangiges Recht oder gegen Europarecht.
Normenkette
ArbGG § 98; TVG § 1; VTV-Bau § 1 Abs. 2; TVG § 5 Abs. 1 Fassung: 2014-08-11; ArbGG § 98 Abs. 1, 6 S. 2; TVG a.F. § 5 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2
Tenor
I. Es wird unter Zurückweisung der Anträge der Beteiligten zu 1), 7) bis 10) festgestellt, dass die vom Beteiligten zu 2) bekannt gemachte Allgemeinverbindlicherklärung vom 24.02.2006 (Bundesanzeiger Nr. 71 vom 11.04.2006) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren in den Fassungen vom 14.12.2004 und 15.12.2005 wirksam sind.
II. Die Rechtsbeschwerde wird für die Beteiligten zu 1), 7) bis 10) zugelassen.
Gründe
1. Die Beteiligten streiten darüber, ob die vom Beteiligten zu 2), dem Bundesministerium für Arbeit (im Folgenden: BMAS) mit Datum vom 24.02.2006 erklärte Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in der Fassung vom 14.12.2004 und vom 15.12.2005 wirksam ist oder nicht.
Die Beteiligte zu 1) ist eine GmbH, die für den Fall der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung Rückforderungsansprüche aus abgetretenem Recht für sich in Anspruch nimmt. Hinsichtlich der Zedenten wird auf Bl. 3 d. A. Bezug genommen. Von diesen haben einige im Jahr 2005 und 2006 aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV Zahlungen an die nach dem VTV eingerichteten Sozialkassen gezahlt. Ob und in welchem Umfang tatsächlich Ansprüche bestehen und solche abgetreten wurden, ist zwischen den Beteiligten streitig.
Beteiligter zu 3) ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse des B. (im Folgenden: ULAK), die als gemeinsame Einzugsstelle der beiden Sozialkassen in einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin zum Aktenzeichen 15 Ca 60291/12 Forderungen auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren in der Fassung vom 15.12.2005 geltend macht und dessen Verfahren durch Beschluss des Arb...