Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des kostenrechtlichen Gegenstands in § 39 RVG. Vierteljahreseinkommen als Streitwert bei frühester Kündigung von mehreren. Wirtschaftliches Interesse als Kriterium für Streitwertbemessung. Wirtschaftliche Werthäufung bei mehreren Kündigungen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein auf eine Kündigung bezogener Kündigungsschutzantrag fällt nur zur Entscheidung an, wenn das Arbeitsverhältnis nicht bereits durch eine auf einen früheren Beendigungszeitpunkt bezogene Kündigung aufgelöst ist.
2. Der Grundsatz, wonach der Begriff des kostenrechtlichen "Gegenstands" nicht mit dem des (prozessualen) Streitgegenstands übereinstimmt, gilt nicht nur für § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG, sondern auch bereits für § 39 Abs. 1 GKG.
3. Bei der Bemessung des Streitwerts ist auf das wirtschaftliche Interesse der den Antrag stellenden Partei abzustellen. Das Klageziel ist bei kumulativen Kündigungsschutzanträgen darauf ausgerichtet, mit allen Anträgen zu obsiegen. Eine wirtschaftliche Werthäufung kann aus der maßgeblichen Sicht der klagenden Partei allerdings nur insoweit festgestellt werden, als die jeweiligen Beendigungszeitpunkte der angegriffenen Kündigungen voneinander abweichen. Denn ein obsiegendes Urteil im Kündigungsrechtsstreit stellt der Sache nach fest, dass das Arbeitsverhältnis zu dem jeweiligen Beendigungszeitpunkt noch bestanden hat und durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde. Entsprechend dem zeitlichen Abstand dieser Zeitpunkte bringt der spätere Antrag dem Kläger ein wirtschaftliches "Mehr" (vgl. LAG Düsseldorf 24. Juli 2017 - 4 Ta 31/17, II 1b cc (2) der Gründe).
4. Werden mehrere Kündigungen ausgesprochen, ist danach im Hinblick auf die Kündigung mit dem frühesten Beendigungstermin ein Vierteljahreseinkommen in Ansatz zu bringen, wenn nicht eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf eines Vierteljahreszeitraums außer Streit steht).
Für die die weiteren Kündigungen betreffenden Anträge ist der Gegenstandswert zu erhöhen, wenn über sie entscheiden wird oder sie in einem Vergleich sachlich mitgeregelt werden ist (so auch Streitwertkommission Nr. 21.3: Mehrere Kündigungen mit unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten).
Normenkette
GKG §§ 39, 45, 63, 68 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.12.2020; Aktenzeichen 60 Ca 14553/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Dezember 2020 - 60 Ca 14553/20 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Gesamtstreitwert auf 20.460,59 Euro festgesetzt wird.
Gründe
I.
Die Parteien, die für die Zeit ab dem 1. Juli 2020 ein Arbeitsverhältnis vereinbart haben, streiten über die Wirksamkeit einiger Kündigungen. Die Beklagte hat insoweit mehrere Kündigungsschreiben verfasst, eines vom 15. Oktober 2020 (Antrag zu 1a), zugegangen am 20. Oktober 2020 (Kündigung zum 31. Oktober 2020). Darüber hinaus hat sie eine ordentliche Kündigung vom 26. Oktober 2020 (Antrag zu 1b), zugegangen am 30. oder 31. Oktober 2021, zum 30. November 2020 ausgesprochen. Es folgte eine weitere - in diesem Fall fristlose, hilfsweise ordentliche (zum 31. März 2021) - Kündigung mit Schreiben vom 19. Februar 2021 (Antrag zu 1c), dem Kläger am 23. Februar 2022 zugegangen, die der Kläger zunächst mit einem Hilfsantrag angegriffen hat, nach einem Hinweis des Gerichts aber mit einer Umstellung auf einen Hauptantrag einverstanden war (Bl. 485 dA). Hinsichtlich der Kündigung vom 15. Oktober 2021 streiten die Parteien darüber, ob von einer Zugangsfiktion - bezogen auf den 16. Oktober 2020, an dem die Beklagte erfolglos Zustellversuche unternommen hat - auszugehen ist. Hinsichtlich der Kündigung vom 19. Februar 2021 ist unter den Parteien streitig, ob dem Kläger ein Original oder eine Kopie zugegangen ist. Darüber hinaus hat der Kläger einen Hilfsantrag auf Weiterbeschäftigung gestellt und einen allgemeinen Feststellungsantrag. Das Arbeitsgericht hat über die Wirksamkeit aller Kündigungen zugunsten des Klägers entschieden und dem Auflösungsantrag der Arbeitgeberin stattgegeben. Vor dem Hintergrund der Auflösung des Arbeitsverhältnisses hat das Arbeitsgericht über den Weiterbeschäftigungsantrag nicht entschieden.
Mit Beschluss vom 14. Dezember 2020 hat das Arbeitsgericht Beträge zur Bestimmung des Gesamtstreitwerts in Ansatz gebracht, für den Antrag zu 1c) (Kündigung vom 19. Februar 2021) einen Betrag in Höhe 9.026,73 Euro (3 Bruttoeinkommen), für den Antrag zu 1a) aus der Klageschrift 3.008,91 Euro (Einkommen im Zeitraum vom 1. bis 30. November 2020), für den Antrag zu 1b) (Kündigung vom 26. Oktober 2020) 8.424,95 Euro (Zeitraum vom 1. Dezember 2020 bis zum 22. Februar 2021). Die übrigen Anträge hat das Arbeitsgericht mit "0" bewertet. Den für die Berechnung der Gebühren maßgeblichen Gesamtstreitwert hat das Arbeitsgericht nicht gebildet.
Gegen diesen Beschluss hat der Kläger mit einem am 20. April 2022 beim Arbeitsgericht eingegangene Schriftsatz "Streitwertbeschwerde" eingelegt. Oberer Wert im Falle des Angriffs mehrerer Kündigungen sei ...