Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesonderte Verfahrensgebühr für den Rechtsanwalt im Berufungsverfahren aufgrund sonstiger Einzeltätigkeit. Prozessgebühr für Antrag auf Zurückweisung der Berufung als Sachantrag. Erstattung von Rechtsanwaltskosten unabhängig der Zweckentsprechung. Keine Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren bei offensichtlich nutzloser Tätigkeit. Förderung des Verfahrens durch Bestellungsanzeige

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Frage, ob aus Anlass oder im Rahmen eines Berufungsverfahrens aufgrund einer Tätigkeit des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten nach Zugang des erstinstanzlichen Urteils Gebühren angefallen sind, ist zunächst danach zu unterscheiden, ob die ausgeführte Tätigkeit noch zum erstinstanzlichen Verfahren gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist oder eine sonstige Einzeltätigkeit darstellt, die eine gesonderte Verfahrensgebühr auslöst.

2. Ein Antrag auf Zurückweisung der Berufung ist im Sinne des Gebührenrechts als Sachantrag anzusehen, sodass dem zum Prozessbevollmächtigten bestellten Rechtsanwalt des Rechtsmittelbeklagten, der einen Schriftsatz mit diesem Inhalt bei Gericht eingereicht hat, grundsätzlich die volle Prozessgebühr zusteht (vgl. BAG 16. Juli 2003 - 2 AZB 50/02, Rn. 12). Davon zu unterscheiden ist die Frage der Erstattungsfähigkeit.

3. Von der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nach Einlegung einer Berufung durch die Gegenseite ist die Frage zu unterscheiden, welche Maßnahmen der Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung/Rechtsverteidigung für erforderlich halten darf.

4. Durch § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO wird nur die Beauftragung eines Rechtsanwalts der Überprüfung entzogen, ob sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig ist, nicht auch die einzelne veranlasste Maßnahme (vgl. BAG 18. November 2015 - 10 AZB 43/15, Rn. 22, str., zum Streitstand: BGH 7. Februar 2018 - XII ZB 112/17, Rn. 18).

5. Das steht nicht im Widerspruch dazu, dass die Kosten eines beauftragten Rechtsanwalts von der Rechtsprechung allein deshalb als erstattungsfähig anerkannt werden, weil der Rechtsmittelgegner anwaltlichen Rat in einer von ihm als risikohaft empfundenen Situation für erforderlich halten darf (vgl. BGH 19. September 2013 - IX ZB 160/11, Rn. 7; 17. Dezember 2002 - X ZB 9/02; 3. Juli 2007 - VI ZB 21/06; 6. Dezember 2007 - IX ZB 223/06, Rn. 10). Dieser Gesichtspunkt sagt als solcher noch nichts darüber aus, in welchem Umfang der Rat als zweckentsprechend angesehen werden kann, um die Kostenerstattungspflicht auszulösen (vgl. BGH 15. Oktober 2013 - XI ZB 2/13, Rn. 16 f.).

6. Eine Erstattung der Anwaltsgebühren kann dann nicht verlangt werden, wenn für die konkrete Tätigkeit des Anwalts kein Anlass bestand (vgl. BAG 18. April 2012 - 3 AZB 22/11, Rn. 10), insbesondere dann, wenn die Maßnahme offensichtlich nutzlos war (vgl. BGH 15. Oktober 2013 - XI ZB 2/13, Rn. 16).

7. Es ist nicht ersichtlich, welche Prozessförderung von einem Antrag auf Zurückweisung der Berufung ausgehen kann, solange mangels einer Berufungsbegründung eine sachgerechte Prüfung des Rechtsmittels nicht möglich ist (vgl. BAG 16. Juli 2003 - 2 AZB 50/02, Rn. 15).

8. Eine Bestellungsanzeige kann das Verfahren nicht fördern, wenn die Prozessbevollmächtigten aufgrund ihrer Vertretung im Berufungsverfahren ohnehin als Bevollmächtigte im Verfahren der Berufung zu behandeln sind (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 15. Oktober 2019 - 17 Ta (Kost) 6079/19, zu II 2 b bb der Gründe).

 

Normenkette

ZPO §§ 104, 91; RVG-VV Nr. 3201; ZPO § 92 Abs. 2, § 97 Abs. 1, § 516 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.06.2021; Aktenzeichen 53 Ca 1084/20)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. Juni 2021 - 53 Ca 1084/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird für die Klägerin zugelassen. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt mit ihrem Kostenfestsetzungsantrag die Festsetzung einer 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG nach Rücknahme der Berufung durch die Beklagte.

Die erstinstanzlich unterlegene Beklagte legte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. Juli 2020 am 3. September 2020 Berufung ein. Der Schriftsatz enthält weder Anträge noch eine Begründung, aber einen Hinweis darauf, dass die Einlegung nur zur Fristwahrung erfolge, verbunden mit der Bitte, es möge sich noch kein Prozessbevollmächtigter bestellen. Der Schriftsatz ist der Klägerin am 26. September 2020 zugestellt worden. Noch am selben Tag ist bei dem Landesarbeitsgericht durch die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin per Fax eine Vertretungsanzeige eingereicht worden. Mit dem Schriftsatz sind zugleich die Zurückweisung der Berufung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt worden.

Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2020 hat die Beklagte in Bezug auf die Berufungsbegründung Fristverlängerung beantragt, da wegen ...

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