Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung. Auszubildende. Postausgangskorb

 

Leitsatz (amtlich)

Das Verteilen von Post auf zwei verschiedene Postkörbe nach festgelegten Regeln kann auch einer Auszubildenden im 1. Ausbildungsjahr übertragen werden

 

Normenkette

ZPO § 233

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 14.11.2008; Aktenzeichen 35 Ca 10093/08)

 

Tenor

1. Der Beklagten wird hinsichtlich der versäumten Frist zur Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. November 2008 – 35 Ca 10093/08 – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erteilt.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens.

3. Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben.

 

Gründe

1.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. November 2008 wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 10. Dezember 2008 zugestellt. Demgemäß lief die Frist zur Begründung der Berufung am Montag, den 12. Januar 2009 ab. Tatsächlich ging die Berufung am Dienstag, den 13. Januar 2009 beim Landesarbeitsgericht ein. Obwohl der Fristablauf im Büro des Beklagtenvertreters korrekt behandelt worden war, legte die nach erfolgreichem Abitur seit September 2008 als Auszubildende im 1. Ausbildungsjahr beschäftigte Frau Th. H. die Berufungsschrift am Nachmittag des 12. Januar 2009 versehentlich in den Postausgangskorb für die PIN-Post und nicht in den Postausgangskorb für die Berliner Gerichtspost.

1.1

Im Büro der Prozessbevollmächtigten der Beklagten sind die organisatorischen Abläufe und die personelle Verantwortung für Fristenkontrolle und Postausgang fristwahrender Schriftsätze in einem Handbuch festgelegt. Der Inhalt des Handbuches ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Büros – auch durch mehrfache mündliche Erläuterung – bekannt. Für den Postausgang ist folgendes bestimmt:

„Gerichtspost für die Berliner Gerichte, Berliner Behörden und andere Berliner Einrichtungen wird grundsätzlich über den Justizboten versandt und zu diesem Zwecke in einen Briefkasten des Justizboten eingeworfen.”

Weiter heißt es dort:

„Eine Frist wird erst dann im Fristenkalender gestrichen, wenn der Versand erfolgt oder gewährleistet ist. Dies ist bei Gerichtspost für Berlin der Fall, wenn sich die Gerichtspost für die Berliner Gerichte im Postausgang befindet und feststeht, wer am betreffenden Tag die Gerichtspost zur Abnahmestelle bringt.”

Nach den Regelungen im Handbuch ist für den Postausgang in erster Linie die ausgebildete Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellte Frau R. zuständig. Weiter ist dort geregelt, dass in ihrer Abwesenheit die ausgebildete Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellte Frau Sch. und im Falle deren Abwesenheit die ausgebildete Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellte Frau Hö. zuständig sei. Eine Übertragung der Verantwortung auf andere Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, insbesondere auf Auszubildende, ist nicht zulässig.

Im Büro der Prozessbevollmächtigten der Beklagten werden Auszubildende schon ab Beginn ihrer Ausbildung auch in die Postbearbeitung, allerdings unter Aufsicht, einbezogen.

1.2

Am 12. Januar 2009 war die Arbeitnehmerin R. abwesend, die Arbeitnehmerin Sch. war mit dringenden Notariatsarbeiten beschäftigt. Deshalb ging die Arbeitnehmerin Hö., die seit Juni 2008 vollzeitig im Büro der Prozessbevollmächtigten der Beklagten beschäftigt ist, davon aus, dass sie an diesem Tage für den Postausgang zuständig sei. Sie bat die Auszubildende Frau H. darum, die unterschriebene Post fertig zu machen und die Gerichtspost in den Postkorb für den Justizboten zu legen. Diese Aufgabe hatte Frau H. schon mehrfach unter Aufsicht von Frau R., Frau Sch. und Frau Hö. fehlerfrei wahrgenommen. Eine Kontrolle ob Frau H. den jeweiligen Postkorb korrekt ausgewählt hatte, nahm Frau Hö. nicht mehr vor.

2.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist am 29. Januar 2009 rechtzeitig erfolgt, weil das Gericht den Beklagtenvertreter am 20. Januar 2009 von der verspäteten Berufungseinlegung unterrichtet hatte (§ 234 ZPO). damit ist es zulässig.

Das Wiedereinsetzungsgesuch ist auch begründet.

2.1

Der Grundgedanke der Wiedereinsetzung beruht darauf, dass den Parteien nicht durch Ablauf gesetzlicher Fristen ein unwiederbringlicher Nachteil entstehen soll, wenn die Versäumung unverschuldet ist. Der Erfolg eines Wiedereinsetzungsgesuchs hängt davon ab, ob den Anwalt als Vertreter der Partei ein Verschulden trifft. Dieses Verschulden wird der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet. Liegt die Verantwortung dagegen bei sorgfältig ausgebildetem und ausgewähltem Personal des Anwalts, ist Wiedereinsetzung möglich. Dies wiederum gilt aber nicht, wenn der Fehler an mangelhafter Organisation des Büros liegt. Für solche Organisationsmängel muss der Anwalt – und damit im Ergebnis die Partei – einstehen (BGH, Beschluss vom 21. Juni 1988 – VI ZB 14/88).

Aufgrund dieses Geschehensablaufs ist von einem der Wiedereinsetzung entgegenstehenden Anwaltsverschulden, das der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen wäre, nicht auszugehen.

Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vert...

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