Entscheidungsstichwort (Thema)

Neuwahl eines Betriebsrats während der Amtszeit des ordnungsgemäß gewählten Betriebsrats. Unwirksame Betriebsratswahl bei Neuwahl vor Ablauf der Kündigungsfrist eines ausscheidenden Betriebsratsmitglieds

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein offensichtlicher und besonders grober Verstoß gegen Wahlvorschriften liegt vor, wenn während der Amtszeit eines ordnungsgemäß gewählten Betriebsrats für denselben Betrieb oder Betriebsteil ohne begründeten Anlass ein weiterer Betriebsrat gewählt wird mit dem Ziel, den amtierenden Betriebsrat abzuwählen. In einem Betrieb kann nur ein Betriebsrat bestehen.

2. Gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG findet außerhalb der turnusmäßigen Betriebsratswahlen die Neuwahl eines Betriebsrats dann statt, wenn die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder nach Eintreten sämtlicher Ersatzmitglieder unter die vorgeschriebene Zahl der Betriebsratsmitglieder gesunken ist.

3. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Betriebsrats endet gemäß § 24 Nr. 3 BetrVG die Mitgliedschaft im Betriebsrat. Kündigt ein Betriebsratsmitglied sein Arbeitsverhältnis, endet das Arbeitsverhältnis und seine Mitgliedschaft im Betriebsrat erst am Tag des Ablaufs der Kündigungsfrist (24:00 Uhr), so dass bis zu diesem Zeitpunkt ein Betriebsrat im Amt und damit ein funktionsfähiges Gremium vorhanden ist.

4. Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Wahlvorstand die Wahl unverzüglich einzuleiten. Im Falle des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG hat eine Neuwahl unverzüglich nach dem Absinken der Anzahl der Mitglieder des Betriebsrats unter die gesetzlich vorgesehene Anzahl stattzufinden.

5. Für eine Vorverlagerung des Zeitpunkts einer Neuwahl steht dem Wahlvorstand kein irgendwie gearteter Beurteilungsspielraum zu. Es ist nicht hinzunehmen, dass die Amtszeit des Betriebsrats ohne rechtfertigenden Grund vorzeitig beendet wird, auch wenn es dabei nur um eine Woche geht.

 

Normenkette

BetrVG § 13 Abs. 2, §§ 19, 13 Abs. 2 Nr. 2, § 18 Abs. 1 S. 1, § 19 Abs. 1, § 24 Nr. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 18.05.2017; Aktenzeichen 58 BV 9706/16)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. Mai 2017 - 58 BV 9706/16 - abgeändert und die Wahl des Betriebsrats im Betrieb der J. Dienstleistungen GmbH am 7. Juli 2016 für unwirksam erklärt.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Betriebsratswahl vom 7. Juli 2015.

Der Antragsteller (im Folgenden: Arbeitgeberin) ist ein Dienstleistungsunternehmen im Gastronomiebereich mit ca. 20 Arbeitnehmern und Auszubildenden. In ihrem Betrieb wurde zuletzt im Dezember 2015 eine Betriebsratswahl durchgeführt, in deren Ergebnis der aus drei Mitgliedern bestehende Beteiligte zu 2. (im Folgenden: Betriebsrat) hervorging. Ersatzmitglieder für den Betriebsrat sind nicht gewählt.

Ein Mitglied des Betriebsrats, Herr L., hatte eine Eigenkündigung zum 15. Juli 2016 ausgesprochen. Daraufhin hat der Betriebsrat einen Wahlvorstand für eine Neuwahl eingesetzt, der am 7. Juli 2016 eine entsprechende Wahl durchführte und am 7. Juli 2016 auch das Wahlergebnis bekannt gab.

Die Arbeitgeberin hat die Neuwahl für unwirksam gehalten und sie mit ihrem am 21. Juli 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschriftsatz angefochten. Sie hat gemeint, bis zum 15. Juli 2016 habe der Betriebsrat einschließlich des kündigenden Mitglieds noch fungiert. Es habe daher keinen Anlass für die Neuwahl gegeben. Ein Arbeitnehmer habe zudem von der Wahl nichts gewusst. Ob die Wahlvorschriften eingehalten worden seien, sei unklar. Der Betriebsrat verweigere jegliche Auskünfte.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Betriebsratswahl im Betrieb der J. Dienstleistungen GmbH vom 7. Juli 2016 für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat gemeint, wegen des Ausscheidens des Betriebsratsmitglieds L. und des Absinkens der Anzahl der Betriebsräte unter die erforderliche Mindestanzahl habe eine Neuwahl durchgeführt werden müssen. Ersatzmitglieder seien nicht vorhanden gewesen. Dass der Betriebsrat L. erst eine Woche später aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei, sei unschädlich. Es gelte zwar der Grundsatz, dass nicht parallel zwei Betriebsräte existieren könnten, aber die Überschneidungszeit betrage hier nur eine Woche. § 13 BetrVG regele keinen Zeitpunkt für die Neuwahl, weshalb dem Wahlvorstand ein Beurteilungsspielraum einzuräumen sei. Es müsse auch die Pflicht zu unverzüglichem Handeln berücksichtigt werden. Daher sei die Bestellung des Wahlvorstandes nicht zu beanstanden. Auch der ausscheidende Betriebsrat sei mit dem Vorgehen einverstanden gewesen.

Das Arbeitsgericht hat mit seinem Beschluss vom 18. Mai 2015 den Antrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der zulässige Antrag sei unbegründet, weil es an einem Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften fehle. Zwar sei eine Wahl ohne berechtigten Anlass während der Amtsze...

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