Entscheidungsstichwort (Thema)

Abwägungspflicht des Gerichts bei Aussetzungsentscheidung. Beschleunigungsgrundsatz zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer. Prüfung von Ermessensfehlern bei Aussetzungsentscheidung im Beschwerdeverfahren. Keine Vorgreiflichkeit bei unbegründeter Klage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Aussetzung nach § 148 Absatz 1 ZPO kommt in der Regel erst in Betracht, wenn das Verfahren "ausgeschrieben" ist.

2. Bei Ermessensfehlern ist das Beschwerdegericht auf die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung beschränkt, es sei denn, das Ermessen ist auf Null reduziert.

 

Normenkette

ZPO §§ 148, 252; ArbGG § 9 Abs. 1, § 61a

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 24.07.2020; Aktenzeichen 34 Ca 2409/20)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. Juli 2020 - 34 Ca 2409/20 - abgeändert und der Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Aussetzung des Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung in einem weiteren Rechtsstreit der Parteien.

Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitig fristlos, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin ausgesprochenen Kündigung vom 7. Februar 2020 sowie über Vergütungsansprüche für den Zeitraum von Oktober 2019 bis Mai 2020.

Der Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Kläger) steht mit der Beklagten und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Beklagte) seit dem 1. April 2018 in einem Arbeitsverhältnis als "Programmmanager" und seit dem 1. Oktober 2018 als "Head of Project Management Office" auf der Grundlage des "Anstellungsvertrages" vom 27. März 2018, geändert durch Änderungsvereinbarung vom 19. Oktober 2018. Zuletzt verdiente er monatlich 7.500,00 Euro brutto zuzüglich einer variablen zielerreichungsabhängigen Jahresabschlussvergütung ("Tantieme") von bis zu 10.000,00 Euro.

Darüber hinaus ist der Kläger seit 2016 Geschäftsführer der St. Strategic A. & A. UG (haftungsbeschränkt). Im Handelsregister ist als Gegenstand des Unternehmens der Erwerb, die Verwaltung und die Veräußerung von Unternehmen und Unternehmensanteilen im eigenen Namen, auf eigene Rechnung, nicht für Dritte, unter Ausschluss von Tätigkeiten nach dem KWG sowie alle Managementtätigkeiten der Tochtergesellschaften und Beteiligungen einschließlich der Erbringung von strategischen und operativen Beratungsleistungen auf den Gebieten Strategie und Interim Management eingetragen.

Die Beklagte ist ein seit dem 29. August 2017 bestehendes Start-up Unternehmen und beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Vollzeitarbeitnehmer. Sie betreibt einen digitalen Marktplatz für den Handel mit Werkstoffen wie Stahl, Metall und Kunststoff und bietet ihren Kund*innen verschiedene Serviceleistungen im Zusammenhang mit der Durchführung und Verwaltung der Verkaufsprozesse an.

Mit Schreiben vom 12. Juni 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger betriebsbedingt zum 30. September 2019 und stellte ihn unter Anrechnung auf noch bestehende Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche bis zum Beendigungszeitpunkt von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung unwiderruflich frei. Hiergegen erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Berlin unter dem Geschäftszeichen 34 Ca 8116/19 Kündigungsschutzklage und machte einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung geltend. Hilfsweise begehrte er die Wiedereinstellung als "Head of Product" zum 1. Oktober 2019 und Beschäftigung als solcher. Mit Urteil vom 12. November 2019 wies das Arbeitsgericht Berlin die Kündigungsschutzklage ab und verurteilte die Beklagte zur Wiedereinstellung des Klägers als "Head of Product" zum 1. Oktober 2019 und zur vorläufigen Weiterbeschäftigung als solcher. Gegen dieses Urteil legten beide Parteien beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg unter dem Geschäftszeichen 24 Sa 2098/19 Berufung ein. Mit Urteil vom 18. November 2020 gab das Landesarbeitsgericht der Berufung des Klägers teilweise statt und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12. Juni 2019 nicht aufgelöst worden ist. Im Übrigen wies es die Berufung des Klägers sowie die Berufung der Beklagten zurück und ließ die Revision nicht zu. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.

Mit weiterem Schreiben vom 14. November 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger im Hinblick auf das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. November 2019 vorsorglich erneut zum 31. März 2020, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin und stellte den Kläger höchstvorsorglich unter Anrechnung auf sämtliche bestehende und zukünftig noch entstehende Urlaubsansprüche bis zum Beendigungszeitpunkt von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung unwiderruflich frei. Hiergegen erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Berlin unter dem Geschäftszeichen 63 Ca 15089/19 ebenfalls Kündigungsschu...

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