Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergleichsmehrwert nur für Erledigung streitiger Forderungen

 

Leitsatz (amtlich)

1) Die Formulierung, wonach Urlaubs- und Freizeitansprüche "in natura gewährt" worden sind, kann uU einen Vergleichsmehrwert auslösen. Das kommt zB in Betracht, wenn mit Ausspruch der Kündigung eine Freistellung unter Anrechnung auf den Urlaub erfolgt ist und sodann im Rahmen des Verfahrens Streit unter den Parteien bestand hat, ob eine solche Freistellung wirksam erfolgen konnte.

Das kann es rechtfertigen, den auf den Urlaubszeitraum entfallenden Betrag bei der Wertberechnung anzusetzen. In einer solchen Konstellation geht es um die Frage, ob das Urlaubsentgelt mit der Vergütung bereits abgegolten war oder nicht (vgl. dazu LAG Berlin-Brandenburg 16. Juli 2019 - 26 Ta (Kost) 6040/19, Rn. 25).

2) Besteht hingegen unter den Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs Einigkeit, dass und in welchem Umfang Urlaubsansprüche bestanden haben, gab es also insoweit weder Streit noch Ungewissheit, stellt die getroffene Vereinbarung über die Erfüllung der Urlaubsansprüche während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses lediglich einen Teil der Gegenleistung der Partei für die im Rahmen des Vergleichs zu ihren Gunsten getroffenen Regelungen dar (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 5. Februar 2015 - 17 Ta (Kost) 6141/14).

 

Normenkette

RVG-VV Nr. 1000; RVG § 33 Abs. 9

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 09.07.2020; Aktenzeichen 12 Ca 13856/19)

 

Tenor

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 9. Juli 2020 - 12 Ca 13856/19 - wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Parteien haben über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung vom 25. Oktober 2019 zum 31. Dezember 2019 gestritten.

Mit Beschluss vom 8. Juni 2020 hat das Arbeitsgericht einen Vergleich festgestellt, in dem sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31. Dezember 2020 geeinigt haben sowie unter Nr. 2) auf die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 8.300 Euro. Nr. 3 des Vergleichs haben die Parteien wie folgt formuliert:

"Die Parteien stimmen darin überein, dass bestehender Resturlaub als auch etwaig geleistete Überstunden in natura genommen wurden und abgegolten sind."

Unter Nr. 4 des Vergleichs haben sich die Parteien zudem auf ein gutes Zeugnis geeinigt.

Das Arbeitsgericht hat den Gesamtgegenstandswert (vgl. dazu ausführlich: LAG Berlin-Brandenburg 5. Juni 2019 - 26 Sa 6050/19, zu II 2 c bb der Gründe; und 26 Ta (Kost) 6038/19, zu 3 der Gründe) bisher nicht festgesetzt. Es hat aber für den Antrag zu 1) (Kündigungsschutzantrag) 5.381,58 Euro und für den Weiterbeschäftigungsantrag sowie das Zeugnis jeweils ein Bruttoeinkommen vorgesehen. Im Hinblick auf das im Vergleich geregelte Zeugnis hat es ebenfalls ein Bruttoeinkommen in Ansatz gebracht. Eine Berücksichtigung der "Urlaub-in-natura-abgegolten"-Regelung unter Nr. 3 des Vergleichs hat es bei der Berechnung des Vergleichsmehrwerts abgelehnt.

Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten begehren mit der Beschwerde eine Erhöhung des Vergleichsmehrwerts um einen Betrag in Höhe von 2.152,63 Euro, den die Beklagte unstreitig an sich noch als Urlaubsabgeltung an die Klägerin für 26 Urlaubstage zu zahlen gehabt hätte. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde am 3. August 2020 nicht abgeholfen, da der Anspruch weder streitig noch ungewiss gewesen sei.

II.

Die am 22. Juli 2020 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangene Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 9. Juli 2020, zugestellt am 20. Juli 2020, ist zulässig, aber unbegründet.

1) Das Arbeitsgericht hat die Berücksichtigung der Regelung unter Nr. 3 des Vergleichs mit Recht abgelehnt. Die sog. "Urlaub-in-natura-abgegolten"-Regelung führt hier nicht zu einem höheren Vergleichsmehrwert.

a) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Demgegenüber ist die bloße Begründung einer Leistungspflicht in dem Vergleich für den Vergleichsmehrwert ohne Bedeutung; denn es kommt für die Wertfestsetzung darauf an, worüber - und nicht worauf - die Parteien sich geeinigt haben. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass durch den Vergleich ein Streit vermieden wurde. Ein Titulierungsinteresse kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der geregelte Anspruch zwar unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 2).

Die Festsetzung ein...

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