Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmerähnliche Person

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Auftragnehmer kann sich zu zwei konzernmäßig verbundenen Auftraggebern zugleich in der Stellung einer arbeitnehmerähnlichen Person i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG befinden.

 

Normenkette

ArbGG § 5 Abs. 1 S. 2; TVG § 12a Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Beschluss vom 24.03.2010; Aktenzeichen 48 Ca 20419/09)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. März 2010 – 48 Ca 20419/09 – aufgehoben.

2. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

1. Die Klägerin, die seit 2009 von beiden Beklagten zur Beratung in Vermarktungsfragen beschäftigt wurde, wendet sich gegen deren außerordentliche Kündigungen vom 26. Oktober 2009 und nimmt diese als Gesamtschuldner auf Zahlung von Vergütung für die Monate Februar bis April sowie September und Oktober 2009 in Anspruch.

Das Arbeitsgericht Berlin hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für nicht gegeben erklärt und den Rechtsstreit ans Landgericht Berlin verwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klagebegehren könnten nicht im Sinne der sog. sic-non-Rechtsprechung lediglich auf eine arbeitsrechtliche Grundlage gestützt werden. Auch ergebe sich weder aus der Anbahnung noch der Zusammenarbeit der Parteien, dass zwischen diesen Arbeitsverhältnisse begründet worden seien. So habe die Klägerin in einer E-Mail vom 12. Februar 2009 (Abl. Bl. 277 bis 279 d. A.) deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie aus steuerrechtlichen Gründen ihren freiberuflichen Status für ein Jahr der Zusammenarbeit nicht habe aufgeben wollen. Eine örtliche Weisungsgebundenheit habe nicht bestanden, da die Klägerin von ihrem häuslichen Arbeitsplatz aus tätig geworden sei; Weisungsgebundenheit in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht habe die Klägerin nicht schlüssig dargelegt.

Eine Einordnung der Klägerin als arbeitnehmerähnliche Person scheitere daran, dass sie während ihrer Tätigkeit für die Beklagten in ihrer sozialen Stellung nicht einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzwürdig gewesen sei. Es habe ihr offen gestanden, auch für andere Auftraggeber tätig zu sein, und Tätigkeiten im Bereich der Vermarktung und des Anzeigenmarketings würden typischerweise nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt.

Gegen diesen ihr am 20. April 2010 zugestellten Beschluss richtet sich die am 04. Mai 2010 beim Landesarbeitsgericht eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin, der das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 14. Juli 2010 nicht abgeholfen hat.

2. Die fristgemäß und formgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin ist begründet.

Die Gerichte für Arbeitssachen sind für den Rechtsstreit zuständig. Es handelt sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und seinen Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und über dessen Bestehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a und b ArbGG).

2.1 Allerdings hat das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung eine schlüssige Darlegung von Arbeitsverhältnissen zu den beiden Beklagten und auch das Vorliegen eines sog. sic-non-Falls verneint (§ 69 Abs. 2 ArbGG analog), ohne dass die Klägerin hiergegen mit ihrer Stellungnahme zum Nichtabhilfebeschluss Rechtsanwendungsfehler aufgezeigt oder neue Tatsachen vorgebracht hat.

2.2 Die Klägerin galt jedoch für die streitige Zeit gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG als Arbeitnehmer, weil sie wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen war.

2.2.1 Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbständige. Sie unterscheiden sich von Arbeitnehmern durch einen geringeren Grad oder ein vollständiges Fehlen persönlicher Abhängigkeit, an deren Stelle ihre wirtschaftliche Abhängigkeit tritt. Dabei kann eine arbeitnehmerähnliche Person auch für mehrere Auftraggeber tätig sein; kennzeichnend ist jedoch, dass die Tätigkeit für einen Auftraggeber wesentlich ist und die hieraus fließende Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage darstellt (BAG, Urt. vom 17.10.1990 – 5 AZR 639/89BAGE 66, 113 = AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 9 zu II 3 a der Gründe). Schließlich muss der wirtschaftlich Abhängige vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sein (vgl. § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG), was unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung den gesamten Umständen des Einzelfalls zu entnehmen ist (BAG, Beschluss vom 15.04.1993 – 2 AZB 32/92 – AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 12 zu III 2 b aa der Gründe). Dabei ist der Begriff arbeitnehmerähnliche Person weit auszulegen, um der sozialen Schutzbedürftigkeit dieses Personenkreises gerecht zu werden (Kliemt in: Schwab/Weth, ArbGG, 2 Aufl. 2008, § 5 R 210).

2.2.2 Diese Voraussetzungen waren bei der Klägerin erfüllt.

2.2.2.1 Ausweislich eines „Workflow der zukünftigen Zusammenarbeit” vom 16. Juni 2009 (Abl. Bl. 45 und 46 d. A.) auf der Grundlage eines Meetings vom 29. April 2009 wurde die Klägerin seit diesem Monat von den dort kurz „Ringier” bezeichneten Beklagten zur Bera...

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