Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollzeiten. Ruhezeiten. Bereitschaftszeiten und Vergütung
Leitsatz (amtlich)
1. Wechseln sich Berufskraftfahrer auf längeren Touren als Fahrer und Beifahrer ab, so sind die Zeiten als Beifahrer als Bereitschaftszeiten vergütungspflichtig.
2. § 21 a Abs. 3 Nr. 3 ArbZG steht dem nicht entgegen, da diese Vorschrift nur die „arbeitszeitschutzrechtliche” Herausnahme dieser Zeiten von den Arbeitszeiten regelt, nicht aber Regelungen über die Vergütungspflicht enthält.
3. Für Bereitschaftszeiten kann – individualrechtlich oder kollektivrechtlich – eine geringere Vergütung als für „Vollarbeitszeit” vereinbart werden (BAG vom 12.03.2008 – 4 AZR 616/06); ist dies nicht geschehen, sind sie wie Vollarbeitszeit zu vergüten.
Normenkette
ArbZG § 21 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Potsdam (Urteil vom 14.11.2008; Aktenzeichen 6 Ca 1050/08) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 14.11.2008 – 6 Ca 1050/08 – wird zurückgewiesen.
II. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 14.11.2008 – 6 Ca 1050/08 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise dahin geändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 1.659,79 EUR brutto (eintausendsechshundertneunundfünfzig 79/100) nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.05.2008 zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen wird.
III. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten zu 23 % und dem Kläger zu 77 % auferlegt.
IV. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, der bei der Beklagten, einem Unternehmen des Speditionsgewerbes, in der Zeit vom 14.02.2003 bis zum 31.03.2008 als Kraftfahrer beschäftigt war, macht mit der vorliegenden Klage Vergütungsdifferenzansprüche geltend; diese beruhen im Wesentlichen darauf, dass der Kläger von einer geschuldeten Wochenarbeitszeit von (nur) 40 Stunden (Beklagte: 48 Stunden) ausgeht und dass er umfangreich Vergütung für Arbeits- und Bereitschaftszeiten begehrt, die über diejenigen hinausgehen, die von dem digitalen Tachograf erfasst und von der Beklagten bezahlt worden sind.
Dem Arbeitsverhältnis liegt der Arbeitsvertrag vom 13. Februar 2003 zugrunde; dort heißt es u.a.:
„§ 3 Betriebsordnung, Arbeitszeit-Mehrarbeit
- …
- Für das Fahrpersonal richten sich die Lenkzeiten, Lenkzeitunterbrechungen, die Ruhezeiten und die Schichtzeit nach den Bestimmungen der VO (EWG) 3820/85. Im Übrigen richtet sich die Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitrechtgesetz.
- …
- …
- …”
Der Kläger war im sog. Werksverkehr eingesetzt, und zwar für die Firma G./D.. Auf den Fahrten waren überwiegend 2, teilweise auch 3 Fahrer im gleichen Lkw eingesetzt, die sich für die teilweise 30-stündigen Fahrten entsprechend abwechselten.
Den Fahrern stand ein „digitaler Tachograf” zur Erfassung der jeweiligen Zeiten zur Verfügung. Dieser digitale Tachograf zeichnet – nach Einlegung einer Fahrerkarte – zum einen technisch die entsprechenden Fahrdaten auf; zusätzliche Arbeitszeiten, die vor Antritt der Fahrt oder danach entstehen, können per Hand eingegeben werden.
Mit der vorliegenden, bei Gericht am 2. Juni 2008 eingegangenen Klage begehrt der Kläger über die von der Beklagten geleisteten Zahlungen hinausgehend weitere Vergütungszahlungen; er behauptet, in dieser Zeit insgesamt 765,75 Überstunden geleistet zu haben. Dem legt er zum einen zugrunde, dass arbeitsvertraglich eine 40-Stunden-Woche vereinbart worden sei, auf deren Grundlage im Verhältnis zu den geleisteten Stunden sich diese Mehrforderung ergebe. Zum anderen legt er eine von ihm gefertigte Stundenaufstellung vor, aus der er errechnet, dass er über die digital erfassten Zeiten hinausgehend die entsprechenden weiteren Stunden geleistet habe. Bei einer Monatsvergütung von 1.636,00 EUR brutto und einer zu leistenden durchschnittlichen Stundenzahl von 173 Stunden ergebe sich ein Stundenlohn in Höhe von 9,46 EUR brutto. Für die von ihm geltend gemachten 765,75 Std. ergebe sich somit ein Betrag von 7.243,96 EUR.
Demgegenüber hat die Beklagte die Auffassung vertreten, Überstunden seien nicht angefallen. Zwischen den Parteien sei eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden (gesetzliche Höchstarbeitszeit) vereinbart worden. Im Hinblick auf die Neuregelung in § 21 a Abs. 3 ArbZG seien Zeiten, in denen der Kläger nur als Beifahrer tätig gewesen sei, nicht als Arbeitszeit zu vergüten. Demnach habe der Kläger keine Überstunden geleistet und ihm stehe keine weitergehende Vergütung zu.
Von einer näheren Darstellung des Parteivorbringens erster Instanz wird unter Bezugnahme auf die dort gewechselten Schriftsätze und den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung abgesehen; § 69 Abs. 2 ArbGG.
Das Arbeitsgericht Potsdam hat mit Urteil vom 14. November 2008 der Klage teilweise stattgegeben, sie im Übrigen jedoch zurückgewiesen. Dem Kläger stehe Vergütung für insgesamt 530,75 Überstunden zu, diese seien jedoch nur mit einem Stundensatz von 7.36 EUR zu berechnen, so dass sich ein Gesamtanspruch...