Entscheidungsstichwort (Thema)
Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien durch die außerordentliche Kündigung eines Redakteurs wegen Verstoßes gegen seine Rücksichtnahmepflicht
Leitsatz (redaktionell)
1. Äußerungen eines gehobenen Redakteurs, die antisemitischen Charakter haben und das Existenzrecht Israels in Abrede stellen, können auch im privaten Bereich geeignet sein, den Ruf der Deutschen Welle als Stimme der Bundesrepublik Deutschland im Ausland zu schädigen. Somit liegt eine schwerwiegende Verletzung vertraglicher Nebenpflichten vor, die zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung berechtigten. 2. Da der Redakteur aufgrund der Rundfunkfreiheit der Deutschen Welle gehalten ist, die Tendenz des Senders zu wahren, kann er sich auch nicht mit Erfolg auf seine Meinungsfreiheit berufen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 24.02.2023; Aktenzeichen 56 Ca 2087/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. Februar 2023 - 56 Ca 2087/22 - abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision des Klägers wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten vornehmlich über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses sowie die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers.
Die Beklagte, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, bietet für das Ausland Rundfunk (Hörfunk, Fernsehen) und Telemedien an (§ 3 Absatz 1 Deutsche-Welle-Gesetz). Gemäß § 5 Absatz 3 Satz 1 des Deutsche-Welle-Gesetzes soll die Berichterstattung der Beklagten umfassend, wahrheitsgetreu und sachlich sein sowie in dem Bewusstsein erfolgen, dass die Sendungen der Deutschen Welle die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu ausländischen Staaten berühren. Die Beklagte bietet Fernsehen, Radio und einen Internetauftritt an. Die Sie beschäftigt in der Regel - ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten - mehr als zehn Arbeitnehmer/innen (in Vollzeit). Bei ihr ist ein Personalrat gebildet.
Die Beklagte stellt auf dem Internetportal der Chefredakteurin sog. "Positionspapiere" bereit. Erstmals im Jahr 2020 veröffentlichte sie dort ein Positionspapier mit dem Titel "...". In diesem heißt es u.a., dass Deutschland wegen seiner Vergangenheit als Verursacher des Holocaust eine besondere Verantwortung für Israel habe. Das Vermächtnis des Holocaust und die deutsche Vergangenheitsbewältigung seien Eckpfeiler der deutschen Verfassung und Leitlinien der deutschen Politik. Weiter heißt es dort zur Position der Beklagten:
"Als Deutsche Welle stellen wir das Existenzrecht Israels nicht in Frage und erlauben dies auch niemand anderem in unserer Berichterstattung. Wir setzen uns gegen Antisemitismus und jegliche Versuche ein, diesen zu verbreiten (...). Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass es keine Kritik an der Politik Israels geben kann. Wir bleiben der Verpflichtung treu, unparteilich und mit einer angemessenen Gewichtung zu berichten (...)."
Wegen des weiteren Inhalts des Positionspapiers wird auf Anlage B2 Bezug genommen (Blatt 83 - 85 der Akte).
Ein weiteres im Intranet abrufbares Positionspapier der Beklagten, ebenfalls aus dem Jahr 2020, trägt den Titel "...". Hierin heißt es in der aktuellen Fassung:
"Kritik an Israel wird jedoch zu Antisemitismus, wenn sie das Ziel hat, Jüdinnen und Juden als Volk zu verunglimpfen, den jüdischen Glauben und die jüdische Kultur zu diskreditieren oder dem israelischen Staat seine Legitimität abzusprechen.
Sie wird darüber hinaus antisemitisch, wenn im Zusammenhang mit Israel antisemitische Bilder, Stereotype oder Adjektive wie "blutrünstig" oder "gierig" verwendet werden."
Der am ... 1973 geborene Kläger ist seit Februar 2005 bei der Beklagten als Redakteur in freier Mitarbeit tätig, ab 2009 mit einem Rahmenvertrag, der jährlich verlängert wurde. Seit dem 1. November 2017 war er auf der Grundlage eines unbefristeten Honorarrahmenvertrages vom 5. Juli 2017 als Programmitarbeiter bei der Beklagten beschäftigt (Blatt 11 ff der Akte). Seit dem 1. Juli 2021 ist er am Standort B. als gehobener Redakteur aufgrund Arbeitsvertrages vom 23. Juni 2021 bei der Beklagten tätig (Blatt 14 ff der Akte). Der Arbeitsvertrag ist bis zum 30. Juni 2023 befristet. In § 9 des Vertrages ist bestimmt, dass der Honorar-Rahmenvertrag und das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis während der Laufzeit des befristeten Arbeitsvertrags ruhen.
Zuletzt bezog der Kläger von der Beklagten eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von ...Euro.
Der Kläger verfasste verschiedene Beiträge auf seinem öffentlich einsehbaren A-Profil und seinem öffentlichen B Account, zum Teil in deutscher und zum Teil in arabischer Sprache, die sich mit dem Thema Israel und Nahostkonflikt beschäftigten. Auf dem A Account waren am 17. Oktober 2023 Beiträge seit 2017 einsehbar, auf dem B Account waren am 17. Oktober 2023 Beiträge seit 2012 einsehbar.
Soweit die Beklagte Äußerungen des Klägers in diesen Medien zur Rechtferti...