Entscheidungsstichwort (Thema)

Unbefristetes Arbeitsverhältnis bei fehlender Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung im Zeitpunkt der Auslagerung des Fotoarchivs einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt auf eine Tochtergesellschaft

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a.F. gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Entleihunternehmen und einer Leiharbeitnehmerin oder einem Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleihunternehmen und dem Verleihunternehmen für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen, wenn der Vertrag zwischen dem Verleihunternehmen und der Leiharbeitnehmerin oder dem Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 1 AÜG a.F. unwirksam ist; das ist der Fall, wenn das Verleihunternehmen nicht über die nach § 1 AÜG a.F. erforderliche Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung verfügt.

2. Wird das Fotoarchiv einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesellschaft durch Rahmenvertrag auf eine hundertprozentige Tochtergesellschaft ausgelagert, und wird eine bereits zuvor im Archiv beschäftigte Mitarbeiterin auch durch das Tochterunternehmen befristet beschäftigt, können im Einzelfall die Ausgestaltung des Rahmenvertrages über die Betreuung des Fotoarchivs sowie die praktische Durchführung dieses Vertragsverhältnisses für eine Überlassung der Arbeitnehmerin sprechen, wenn eine Fortdauer des früheren Arbeitsverhältnisses dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Organisationshoheit im Wesentlichen weiterhin bei der früheren Arbeitgeberin liegt und diese die Arbeitnehmerin auch weiterhin nach ihren eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen wie eine eigene Arbeitnehmerin einsetzen kann und auch so einsetzt und insbesondere auch Aufgaben wahrnehmen lässt, die vom Rahmenvertrag nicht erfasst werden, jedoch schon während des früheren Arbeitsverhältnisses erledigt wurden.

 

Normenkette

AÜG § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1; TzBfG § 14 Abs. 1; BGB § 242; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.11.2014; Aktenzeichen 16 Ca 6379/14)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.06.2017; Aktenzeichen 9 AZR 133/16)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. November 2014 - 16 Ca 6379/14 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien seit dem 1. Juni 2003 ein Arbeitsverhältnis besteht.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten - soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung - darüber, ob zwischen Ihnen seit dem 1. Juni 2003, zumindest aber gegenwärtig ein Arbeitsverhältnis besteht.

Die Beklagte ist eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt mit Sitz in K. und zwei weiteren Sendestandorten in B., dem Funkhaus B. und dem Hauptstadtstudio.

Die Klägerin war nach ihrem Diplom 1988 an der Hochschule für Musik H. E. B. bis August 2001 als Sopranistin an einem Musiktheater tätig. Vom 11. Februar 2002 bis zum 6. Februar 2003 nahm sie mit Erfolg an einer Weiterbildung "Geschäftsführung Kultur und Medienmanagement" an der Akademie für K. und B. (KBB) in Berlin teil und absolvierte vom 7. Oktober 2002 bis zum 6. Februar 2003 bei der Beklagten in der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (PÖA) des Funkhauses B. ein Praktikum mit 38,5 Stunden wöchentlich (Bl. 769 f. d. A.). Im Anschluss an das Praktikum beschäftigte die Beklagte die Klägerin bis zum 30. April 2003 als Krankheitsvertretung für Frau O. mit 50 Prozent einer Vollzeitkraft als "Sachbearbeiterin zur Aushilfe". Wegen der Einzelheiten wird auf die Ablichtungen des Arbeitsvertrages vom 30. Januar 2003 (Bl. 17 d. A.) sowie auf die Verlängerungsmitteilung vom 4. März 2003 (Bl. 773 d. A.) verwiesen. Frau O. war in der Abteilung PÖA des Funkhauses B. für die Betreuung des Fotoarchivs zuständig. 2002 war Frau O. häufig und danach dauerhaft arbeitsunfähig krank. Ob sie bereits 2003 - wie die Beklagte behauptet - oder erst 2005 vorzeitig in den Ruhestand ging, ist zwischen den Parteien streitig.

Die Abteilung PÖA, ab 2006 Abteilung Kommunikation und Marketing (kurz: Abteilung Kommunikation), ist sowohl in K. als auch B. angesiedelt. Leiter der Abteilung war Herr B.. Herr B. war überwiegend in Köln tätig und seinerzeit als Pressechef unmittelbar dem Intendanten unterstellt. Im Funkhaus Berlin war u. a. Herr Dr. S. als leitender Redakteur tätig. Ob er darüber hinaus - wie die Klägerin behauptet - auch die Position eines Leiters der Abteilung für Berlin innehatte, ist zwischen den Parteien streitig. Herr B. schied Ende 2012 aus und Herr Dr. S. 2013. Seit 2013 ist Herr Z. Leiter der Abteilung. Er ist regelmäßig auch in Berlin anwesend. Vorgesetzte von Herrn Z. ist die Leiterin Intendanz Frau Dr. K., die unmittelbar dem jetzigen Intendanten untersteht. Wegen der Einzelheiten wird auf das Organigramm der Beklagten (Bl. 636 d. A.) verwiesen. Ende 2001 wurde der Entschluss gefasst, das Fotoarchiv auf eine digitale Basis zu stellen, und ab Anfang 2002 damit begonnen, Fotos einzuscannen.

In der ersten ...

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