Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Direktionsrecht des Arbeitgebers bei Gleitzeitrahmen. Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmers bei Festlegung der Arbeitszeit bei Gleitzeit
Leitsatz (amtlich)
1. Außerhalb einer etwaigen Kernarbeitszeit ist die Arbeitsbefreiung nicht iSv. § 29 Abs. 1 f TV-Forst vorgeschrieben.
2. Dem Arbeitgeber steht während des Gleitzeitrahmens grundsätzlich kein Direktionsrecht über die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu, soweit er es sich nicht für bestimmte Fälle vorbehalten hat.
Damit ist es dem Arbeitgeber letztlich unmöglich, außerhalb solcher besonders geregelter Konstellationen den Arbeitnehmer während der Gleitzeit von der Arbeitspflicht zu befreien (vgl. BAG 22. Januar 2009 - 6 AZR 78/08, Rn. 19; 16. Dezember 1993 - 6 AZR 236/93 - BAGE 75, 231, 234, zur Freistellungsregelung in § 52 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BAT in der bis zum 30. Juni 1996 geltenden Fassung).
Normenkette
TV-L Forst § 29; BGB § 616; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Potsdam (Entscheidung vom 27.03.2019; Aktenzeichen 4 Ca 9/19) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 27.03.2019 - 4 Ca 9/19 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Arbeitszeitkonto des Klägers zehn Stunden gutzuschreiben sind, die er für Physiotherapiesitzungen aufgewandt hat.
Der Kläger ist bei dem beklagten Land als Forstwirtschaftsmeister/Ausbilder beschäftigt. Er ist ua. für die Anleitung von Auszubildenden zuständig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in forstwirtschaftlichen Verwaltungen, Einrichtungen und Betrieben der Länder (TV-Forst) Anwendung.
Nach der in der Dienststelle des Klägers geltenden Dienstvereinbarung können die Belegschaftsmitglieder Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit von Montag bis Freitag jeweils von 6:00 Uhr bis 20:00 Uhr weitgehend selbst bestimmen, soweit dringende betriebliche und dienstliche Notwendigkeiten dem nicht entgegenstehen. Die Ausbildung für die Auszubildenden erfolgt von 7:00 Uhr bis 15:45 Uhr.
Der den Kläger behandelnde Arzt verordnete ihm im Oktober 2018 Physiotherapiesitzungen. Die Behandlungen fanden an fünf Tagen statt. Der Kläger war aus diesem Grund in der Zeit in den frühen Nachmittagsstunden unterwegs. Insgesamt hat der Kläger einschließlich der Wegezeiten an fünf Tagen 10:01 Stunden benötigt.
Vom 15. bis zum 26. Oktober 2018 war allein der Kläger für die Anleitung und Betreuung der Auszubildenden zuständig, da andere Ausbilder verhindert waren.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Abwesenheitszeiten für die physiotherapeutische Behandlung sei als Arbeitszeit zu berücksichtigen. Zeiten ärztlich verordneter Behandlungen zählten nach § 29 TV-Forst als Zeiten, zu denen das Entgelt bei Freistellung von der Arbeit fortzuzahlen sei. Da er als Ausbilder beschäftigt sei, sei es ihm nicht möglich, seine Arbeitszeit frei einzuteilen. Er müsse seine Arbeit zwingend während der Unterrichtzeiten ausüben. Es sei ihm auch nicht möglich gewesen, bei der Physiotherapiepraxis Behandlungstermine außerhalb der Unterrichtszeiten zu erhalten.
Der Kläger hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, seinem Arbeitszeitkonto 10:01 Stunden gutzuschreiben.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Mangels Kernarbeitszeit sei der Kläger gehalten gewesen, die Physiotherapietermine außerhalb der Arbeitszeit wahrzunehmen. Das sei auch möglich gewesen. Zudem habe der Kläger seine Freistellungsanträge auch immer erst am Tag der Terminswahrnehmung gestellt, weshalb eine Prüfung zuvor nicht möglich gewesen sei. Außerdem habe der Kläger durch sein Vorgehen selbst deutlich gemacht, dass er während der Ausbildungszeit nicht zwingend habe anwesend sein müssen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und das im Wesentlichen damit begründet, dass es sich bei den Zeiten der physiotherapeutischen Behandlung bzw. der darauf basierenden Abwesenheit von der Arbeit gerade nicht um Arbeitszeit gehandelt habe. Zwar behalte der Arbeitnehmer nach § 29 TV-Forst, § 616 BGB den Anspruch auf das Entgelt, wenn er verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert gewesen ist. Voraussetzung sei aber in jedem Fall, dass eine ärztliche Behandlung bzw. die gleichgestellte verordnete Behandlung innerhalb der Arbeitszeit erfolgen müsse. Hier fehle es bereits an dieser Voraussetzung, da die physiotherapeutische Behandlung nicht während der Arbeitszeit des Klägers habe erfolgen müssen. Mangels Kernarbeitszeit hätte er die Arbeit außerhalb der Therapiebesuchszeit erbringen können. Der Kläger habe selbst nicht vorgetragen, dass es eine Weisung des beklagten Landes gebe, wonach er entgegen der Dienstvereinbarung zur Arbeitszeit die Arbeit in jedem Fall in einem bestimmten Zeitrahmen zu erbringen habe. So habe er ja auch die Ausbildung ...