Entscheidungsstichwort (Thema)
Massenentlassungen im Bereich der Fluggastabfertigung. Wirksame Massenentlassungsanzeige bei Verhandlungsangebot im Rahmen der Einigungsstelle und glaubhaften Darlegungen der Arbeitgeberin zum Beratungsstand
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Arbeitgeberin kann die ihr obliegenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG und § 111 Satz 1 BetrVG gleichzeitig erfüllen, soweit diese übereinstimmen. Dazu muss der Betriebsrat jedoch klar erkennen können, dass die stattfindenden Beratungen (auch) der Erfüllung der Konsultationspflicht der Arbeitgeberin gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen.
2. Fordert die Arbeitgeberin den Betriebsrat schriftlich konkret auf, die "Beratungen über die Möglichkeiten zur Vermeidung von Entlassungen" in der nächsten Einigungsstellensitzung fortzusetzen, nimmt die Arbeitgeberin (für den anwaltlich vertretenen Betriebsrat ersichtlich) auf den Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG Bezug und stellt klar, dass in der Einigungsstelle auch die Konsultationen gemäß § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt werden.
3. Die Betriebsparteien können die Konsultationen gemäß § 17 Abs. 2 KSchG auch im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens über einen Interessenausgleich und Sozialplan durchführen.
4. Liegt eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrates nicht vor, kann die Arbeitgeberin gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG zwei Wochen nach vollständiger Unterrichtung des Betriebsrats gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unter Darlegung des Stands der Beratung eine Massenentlassungsanzeige erstatten.
Normenkette
KSchG §§ 17, 1, 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3, § 17 Abs. 2 Sätze 1-2, Abs. 3 S. 3; BetrVG §§ 76, 111 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.11.2015; Aktenzeichen 63 Ca 2598/15) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.11.2015 - 63 Ca 2598/15 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung vom 29.01.2015 sowie einer vorsorglich ausgesprochenen weiteren betriebsbedingten Kündigung vom 27.06.2015. Hilfsweise begehrt die Klägerin einen Nachteilsausgleich.
Die Klägerin war seit dem 25.06.1985 bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigte, als Angestellte im Bereich Check-In am Flughafen Tegel tätig.
Die Fluggastabfertigungsdienstleistungen an den Flughäfen Tegel und Schönefeld wurden jahrelang von der G. Berlin GmbH & Co. KG (im Folgenden: GGB) neben anderen Dienstleistungen an den Flughäfen erbracht. Die Gesellschaftsanteile an diesem Unternehmen wurden 2008 durch die W.-Gruppe übernommen. Seitdem kann es zu diversen gesellschaftsrechtlichen Umorganisationen, im Zuge dessen zu einer Trennung in vier Geschäftsbereiche, unter anderem den Bereich "Passage", der durch die Beklagte erbracht worden ist. Die Arbeitsverhältnisse der in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmer gingen im Wege des Betriebsübergangs im Jahr 2012 auf die Beklagte über. Soweit es um Passagierabfertigungsdienstleistungen am Flughafen Schönefeld ging, ging ein Großteil der Arbeitsverhältnisse im Wege des Betriebsübergangs im Juli 2014 auf ein anderes Unternehmen, die P. S. Schönefeld GmbH & Co. KG (PSS), über. Die Arbeitsverhältnisse der am Flughafen Tegel beschäftigten Arbeitnehmer verblieben überwiegend bei der Beklagten, wobei ein Teil der Flugabfertigungsdienstleistungen am Flughafen Tegel seit Juli 2013 von einem anderen Unternehmen erbracht werden (Ai. Passage Service GmbH & Co. KG). Einzige Kommanditistin der Beklagten ist die GGB. Deren Kommanditanteile werden von einem Unternehmen der W.-Gruppe gehalten.
Die GGB als einzige Auftraggeberin der Beklagten kündigte im September 2014 sämtliche noch vorhandene Aufträge der Beklagten aus den Bereichen Check-In zu Anfang November 2014, die übrigen Aufträge zum 31.03.2015. Die Gesellschafter der Beklagten bzw. der allein stimmberechtigte Gesellschafter zu 1), die G. Berlin GmbH & Co. KG, beschlossen am 22. September 2014, dass es beabsichtigt sei, den Betrieb der Beklagten zum 31. März 2015 stillzulegen und die dem Betriebszweck dienende Organisation zu diesem Datum vollständig aufzulösen. Mit dem Betriebsrat sollten unverzüglich Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs durchgeführt werden.
Mit dem Betriebsrat fanden Verhandlungen über einen Interessenausgleich am 25.09. und 07.10.2014 statt. Die Beklagte sah die Verhandlungen als gescheitert an und beantragte beim Arbeitsgericht Berlin die Einsetzung einer Einigungsstelle. Die Beklagte und der Betriebsrat vereinbarten am 28.10.2014 vor dem Arbeitsgericht im Wege eines gerichtlichen Vergleichs zum Geschäftszeichen 8 BV 14223/14 die Einsetzung einer Einigungsstelle. Die Einigungsstelle verhandelte am 28.11., 02.12., 04.12. und 18.12.2014. In der Sitzung vom 18.12.2014 erklärte...