Entscheidungsstichwort (Thema)

Massenentlassungen im Bereich der Fluggastabfertigung. Unwirksame Massenentlassungsanzeige bei unterlassenem Verhandlungsangebot und unzureichender Darstellung des Beratungsstands

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Pflicht zur Beratung im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG geht über eine bloße Anhörung deutlich hinaus. Die Arbeitgeberin hat mit dem Betriebsrat über die Entlassungen und auch über die Möglichkeiten ihrer Vermeidung ernstlich zu verhandeln oder dies dem Betriebsrat zumindest anzubieten.

2. Beinhaltet die Massenentlassung zugleich eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG, kann die Arbeitgeberin die Konsultation gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit dem Verfahren gemäß §§ 111 ff. BetrVG verbinden. Für den Betriebsrat muss jedoch eindeutig erkennbar sein, dass die Arbeitgeberin auch ein Konsultationsverfahren durchführen will, weshalb die Arbeitgeberin klarzustellen hat, dass sie mit einer Beratung über die Betriebsänderung auch ihre Verpflichtung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG erfüllen will.

3. Die Arbeitgeberin hat gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ihrer schriftlichen Anzeige der Entlassungen eine diesbezügliche Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen. Liegt eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vor, ist die Anzeige gleichwohl wirksam, wenn die Arbeitgeberin glaubhaft macht, dass sie den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unterrichtet hat und den Stand der Beratungen darlegt (§ 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG).

4. Die Stellungnahme des Betriebsrats gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG muss sich auf das Ergebnis der Beratungen über die Vermeidung oder Einschränkung der Entlassungen sowie die Abmilderung ihrer Folgen beziehen. Der Betriebsrat muss sich in einer Weise äußern, die erkennen lässt, dass er seine Beteiligungsrechte als gewahrt ansieht und dass es sich um eine abschließende Erklärung zu den beabsichtigten Kündigungen handelt.

5. Die Mitteilung der Arbeitgeberin zum Stand der Beratungen soll es der Agentur für Arbeit ermöglichen, die Sachlage auch ohne Stellungnahme des Betriebsrats zutreffend zu beurteilen und sachgerechte Entscheidungen gemäß § 18 Abs. 1 und 2 KSchG zu treffen. Die Mitteilung der Arbeitsgeberin zum Stand der Beratungen muss daher inhaltlich zutreffend und vollständig sein, wobei es der Arbeitgeberin nicht zusteht, eine Äußerung des Betriebsrats vorweg zu bewerten und sie als unbedeutend für die Agentur für Arbeit anzusehen.

 

Normenkette

KSchG §§ 17, 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3, § 17 Abs. 2 Sätze 1-2, Abs. 3 Sätze 2-3, § 18 Abs. 1-2; BetrVG § 111; BGB § 134

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.07.2015; Aktenzeichen 14 Ca 1893/15)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.07.2015 - 14 Ca 1893/15 - teilweise geändert und die Zahlungsklage in Höhe eines Betrags von 77,26 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.03.2015 abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.07.2015 - 14 Ca 1893/15 - zurückgewiesen.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

IV. Die Revision der Klägerin wird nicht zugelassen. Die Revision der Beklagten wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in dem Berufungsverfahren über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung sowie über Annahmeverzugslohnansprüche der Klägerin.

Die am ....1961 geborene Klägerin, die keine Unterhaltsverpflichtungen hat, war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern seit dem 01.07.1997 als Mitarbeiterin der Fluggastabfertigung an dem Flughafen Berlin-T. gegen ein monatliches Bruttogehalt von zuletzt 2.530,00 EUR tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag für Bodenverkehrsdienstleistungen an Flughäfen in Berlin und Brandenburg vom 25.02.2013 (MTV BVD) Anwendung.

Die Fluggastabfertigungsdienstleistungen an den Flughäfen Berlin-T. und Berlin-Sch. wurden jahrelang von der G. Berlin GmbH & Co. KG (GGB) erbracht. Die Gesellschaftsanteile der GGB wurden 2008 von der W.-Gruppe übernommen. Seitdem kam es zu diversen gesellschafts-rechtlichen Umorganisationen, die u.a. zu einer Aufteilung der GGB in vier Geschäftsbereiche führten. Der Bereich "Passage" wurde durch die Beklagte erbracht. Komplementärin der Beklagten ist die P. S. Berlin Beteiligungs GmbH, einzige Kommanditistin die GGB; deren Kommanditanteile werden von einem Unternehmen der W.-Gruppe gehalten.

Die Arbeitsverhältnisse der in dem Bereich Fluggastabfertigung tätigen Arbeitnehmer gingen im Jahr 2012 auf die Beklagte über. Hinsichtlich der Abfertigungsdienstleistungen am Flughafen Sch. ging ein Großteil der Arbeitsverhältnisse im Jahr 2014 auf die P. S. Sch. GmbH & Co. KG über; die Arbeitsverhältnisse der am Flughafen T. beschäftigten Arbeitnehmer, unter ihnen die Klägerin, verblieben überwiegend bei der Beklagten.

Die GGB kündigte als alleinige Auftraggeberin der Beklag...

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