Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen behaupteten Arbeitsbetrugs. Außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen behaupteten Arbeitszeitbetrugs
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Darlegungs- und Beweislast kann nicht zwischen dem Kündigenden und dem Gekündigten derart aufgeteilt werden, dass der Kündigende nur die objektiven Merkmale für einen Kündigungsgrund und der Gekündigte seinerseits Rechtsfertigungsgründe und für ihn entlastende Umstände vorzutragen und zu beweisen hat. Zu den die Kündigung begründenden Tatsachen, die der Kündigende vortragen und ggf. beweisen muss, gehören auch diejenigen, die Rechtsfertigungs- und Entschuldigungsgründe ausschließen.
2. Für eine negative Feststellungsklage entfällt das Feststellungsinteresse nicht deshalb, weil der Gegner Zahlungsklage erhoben hat, denn dieses besteht so lange fort, bis die Leistungsklage nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann.
3. Voraussetzung für eine Erstattung von Detektivkosten ist nicht nur die Beauftragung des Detektivs mit der Überwachung des Arbeitnehmers anlässlich eines konkreten Tatverdachts, sondern auch die Überführung des Arbeitnehmers einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 15
Verfahrensgang
ArbG Potsdam (Urteil vom 01.12.2009; Aktenzeichen 3 Ca 1549/09,) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam – 3 Ca 1549/09 – wird auf ihre Kosten bei einem Streitwert von 31.280,56 Euro in beiden Instanzen zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Verdachtskündigung eines Betriebsratsmitgliedes wegen der Behauptung eines Arbeitszeitbetruges sowie um die Erstattung von Detektivkosten.
Das Arbeitsgericht Potsdam hat der gegen die außerordentliche Kündigung vom 03.07.2009 gerichteten Feststellungsklage ebenso stattgegeben wie der Feststellungsklage des Klägers, dass er nicht verpflichtet sei, Detektivkosten in Höhe von 13.524,35 Euro an die Beklagte zu zahlen. Dies hat es im Wesentlichen damit begründet, dass die außerordentliche Kündigung vom 03.07.2009 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst habe, da es an der Dringlichkeit eines Verdachts einer schweren Pflichtverletzung fehle. Nach der Rechtsprechung müsse bei einer Verdachtskündigung wie der vorliegenden der Verdacht zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung dringend sein, also nach einer wertenden Betrachtung eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der gekündigte Arbeitnehmer die Pflichtverletzung tatsächlich begangen habe. Darlegungs- und beweispflichtig für alle den dringenden Verdacht begründenden Umstände sei der kündigende Arbeitgeber. Dies gelte auch für die im Prozess über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung vorgebrachten Entlastungstatsachen, deren behauptetes Vorliegen der Kündigende zu widerlegen habe.
Zwar würden für die Beurteilung von Pflichtverletzungen aus dem Arbeitsverhältnis durch Betriebsratsmitglieder grundsätzlich die gleichen Bewertungsmaßstäbe wie bei anderen Arbeitnehmern gelten, denn ein Betriebsratsmitglied sei – abgesehen von der Arbeitsbefreiung wegen Betriebsratstätigkeit – ebenso zur Arbeitsleistung verpflichtet wie jeder andere Arbeitnehmer. Dies schließe ein, dass ein Betriebsratsmitglied wie andere Arbeitnehmer auch ein vom Arbeitgeber vorgehaltenes Arbeitszeiterfassungssystem zu nutzen hätte und zwar auch dann, wenn es Betriebsratstätigkeit außerhalb des Betriebes wahrnehme. Dennoch unterliege die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes einem strengeren Maßstab insofern, als zu berücksichtigen sei, dass das Risiko, bei der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse mit arbeitsvertraglichen Pflichten in Kollision zu geraten, bei aktiven Betriebsratsmitgliedern größer sei. Der von der Rechtsprechung geforderte „strengere” Maßstab betreffe also jene Sachverhalte, in denen die besondere Situation zu werten sei, dass die arbeitsvertragliche Pflicht im Zusammenhang mit der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse verletzt worden sei.
Gemessen an diesen Maßstäben fehle es an der Dringlichkeit des Verdachts einer schweren arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung: Zwar habe der Kläger an den streitgegenständlichen elf Arbeitstagen die Zeiterfassungsgeräte beim Verlassen des umfriedeten Betriebsgeländes und beim Wiederbetreten nicht betätig. Der Kläger habe aber unbestritten vorgetragen, dass für den Zeitraum 18.05.2009 bis 05.06.2009 allein 39,5 Stunden für Betriebsratsarbeit in dem von der Beklagten vorgehaltenen SAP-System vom Kläger eingestellt worden seien. Ausweislich der vom Kläger dazu überreichten Übersichten (vgl. dazu die Übersichten in Kopie Bl. 110 – 112 d. A.) seien für alle Tage, an denen die von der Beklagten beauftragte Detektei die Nichtbetätigung des Zeiterfassungssystems und den Aufenthalt außerhalb des Betriebsgeländes festgestellt habe, zwischen 2,5 und 4,5 Stunden Betriebsra...