Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Mitbestimmung des Betriebsrates bei späterer Nichtrückkehr zur "normalen" Arbeitszeit
Leitsatz (amtlich)
1. Eine vorübergehende Verkürzung der Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG liegt vor, wenn für einen überschaubaren Zeitraum von dem allgemein geltenden Zeitvolumen abgewichen wird, um anschließend zur betriebsüblichen Dauer der Arbeitszeit zurückzukehren (BAG, Beschluss vom 01. Juli 2003 - 1 ABR 22/02 -, BAGE 107, 9-18, Rn. 31). Dies ist bei einer durchgehenden Reduzierung der Arbeitszeit von 2,5 Stunden wöchentlich für einen Zeitraum von 30 Monaten nicht mehr der Fall.
2. Bei mehreren Tarifverträgen unterschiedlicher Gewerkschaften, die für denselben räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich tarifliche Regelungen bzw. Tarifüblichkeit im Sinne des § 77 Abs. 3 BetrVG begründen, reicht eine Öffnungsklausel in einem dieser Tarifverträge nicht aus, um für den gesamten potentiellen Geltungsbereich ergänzende Betriebsvereinbarungen zuzulassen.
Dies gilt jedenfalls, soweit mangels arbeitgeberseitiger Tarifbindung keiner dieser Tarifverträge unmittelbare Anwendung findet.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 3, § 77 Abs. 3; ZPO § 256
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 16.05.2018; Aktenzeichen 20 Ca 6862/17) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16.05.2018 - 20 Ca 6862/17 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Ziffer 1 der Entscheidung wie folgt lautet:
Es wird festgestellt, dass die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin in dem Zeitraum vom 01.07.2017 bis 31.06.2019 39 Stunden beträgt.
2. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.
3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Verkürzung der Arbeitszeit.
Die Klägerin war zunächst seit 1. Januar 1989 bei der Berliner V. (Ost) beschäftigt. Mit Wirkung zum 1. Januar 1991 übernahm die Berliner V. eG das Arbeitsverhältnis. Hierzu wandte sich die Berliner V. eG mit Schreiben vom 10. Januar 1991 an die Klägerin und führte zu den Arbeitsbedingungen u.a. aus:
"Der Tarifvertrag für die V.. und R. sowie die genossenschaftlichen Zentralbanken und die Betriebsvereinbarungen für den Betrieb der Berliner V. eG, K. 86, 1000 Berlin 19, sind Bestandteil dieses Vertrags."
Das seitens der Berliner V. eG unterzeichnete Schreiben endet mit dem Passus:
"Ich bestätige, vorstehendes Schreiben erhalten zu haben und erkläre mich mit dessen Inhalt sowie mit den Regelungen des Handbuchs für Mitarbeiter inkl. aller Betriebsvereinbarungen für den Betrieb der Berliner V. eG, K. 86, 1000 Berlin 19, in allen Teilen einverstanden."
Der von der Klägerin unterzeichnet ist.
Der Arbeitgeberverband der Deutschen V. und R e.V. (AVR) schloss mit den Gewerkschaften HBV, DAG, DBV und DHV lange Zeit gleichlautende Tarifverträge, so der Manteltarifvertrag für die V. und R sowie die Genossenschaftlichen Zentralbanken vom 18. April 1979, der im Folgenden fortlaufend durch weitere Tarifverträge geändert wurde. Der letzte gleichlautende Tarifvertrag zur Änderung des Manteltarifvertrages, dann mit der Gewerkschaft ver.di anstelle HBV und DAG abgeschlossen, wurde am 8. Juli 2004 vereinbart. Dieser Manteltarifvertrag wurde als enthält - insoweit entsprechend bereits vorheriger, hinsichtlich des Befristungsablaufs mehrfach angepasster Vereinbarungen - u.a. folgende Regelung:
"Öffnungsklausel zur Beschäftigungssicherung
Zur Vermeidung von Entlassungen und zur Sicherung der Beschäftigung kann durch freiwillige Betriebsvereinbarung die wöchentliche Arbeitszeit für Arbeitnehmergruppen, einzelne Abteilungen oder ganze Betriebsteile auf bis zu 31 Stunden in der Woche gekürzt werden; die Bezüge und sonstigen Leistungen werden grundsätzlich entsprechend gekürzt. Für die gekürzte Zeit wird ab dem 1. Januar 2004 ein finanzieller Ausgleich von 20 % des zugehörigen Stundensatzes geleistet. Zuvor sollen in dem betreffenden Bereich die Möglichkeiten zum Abbau von Mehrarbeit und zur Förderung von Teilzeitarbeitsverhältnissen genutzt werden. Während der Laufzeit der Betriebsvereinbarung dürfen gegenüber den von ihr erfassten Angestellten keine betriebsbedingten Beendigungskündigungen ausgesprochen werden.
Auszubildende werden von dieser Regelung nicht erfasst.
Diese Regelung ist befristet bis zum 31. Dezember 2008."
Die Berliner V. eG ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes. 2009 ging das Arbeitsverhältnis auf die maßgebend von der Berliner V. eG neu gegründete Beklagte über. Die Berliner V. eG ist Mehrheitsgesellschafterin der Beklagten. Die Beklagte ist nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes.
Der AVR und die Gewerkschaften DBV und DHV vereinbarten einen Manteltarifvertrag, der in der Fassung vom 6. Februar 2016 u.a. folgende Regelung enthält:
"5. Öffnungsklausel zur Beschäftigungssicherung
Zur Vermeidung von Entlassungen und zur Sicherung der Beschäftigung kann durch freiwillige Betriebsvereinbarung die wöchentliche Arbeitszeit für Mita...