Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlungsansprüche einer als Verein tätigen Förderschule gegen das Land Brandenburg. Sittenwidrigkeit der Vergütungsvereinbarung zwischen Förderschule und dem Land Brandenburg. Anspruch auf angemessene Vergütung bei nichtiger Vergütungsvereinbarung. Kriterien für angemessene Vergütung nach § 612 Abs. 1 BGB

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die zwischen der Förderschule und dem Land Brandenburg geschlossene Vergütungsvereinbarung ist gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und damit nichtig. Es besteht deshalb ein Anspruch auf angemessene Vergütung nach § 612 Abs. 1 BGB.

2. Maßgeblichkeit für die Bemessung der angemessenen Vergütung ist die Vergütung im vergleichbaren Wirtschaftskreis. Damit findet hier die AVR-AWDO als Vergütungsgrundlage Anwendung.

3. Ein Nachweis nach dem Nachweisgesetz bei Verzug ist im Hinblick auf die vertraglichen Ausschlussfristen für die Entstehung von Schadensersatzansprüchen nicht erforderlich.

 

Normenkette

GG Art. 7 Abs. 4; BGB § 138 Abs. 1; NachwG § 3; BGB §§ 286, 288, 612; ZPO § 92 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Neuruppin (Entscheidung vom 17.06.2021; Aktenzeichen 1 Ca 400/20)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 17.06.2021 - 1 Ca 400/20 - dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin

- weitere 25.937,33 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.01.2018 zu zahlen;

- weitere 13.989,39 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.01.2019 zu zahlen;

- weitere 556,53 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.01.2020 zu zahlen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin 33 % und die Beklagte 67 % zu tragen, von den Kosten des Berufungsverfahren die Klägerin 15 % und die Beklagte 85 %.

IV. Die Revision wird weder für die Klägerin noch für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Vergütung.

Der beklagte Verein betreibt im Land Brandenburg eine staatlich anerkannte Förderschule mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt "geistige Entwicklung". Dort beschäftigt er die Klägerin seit Jahresbeginn 1992, zunächst als sozialpädagogische Mitarbeiterin und später als Lehrkraft.

Im schriftlichen Dienstvertrag vom 30. März 1992 haben die Parteien vereinbart, dass für das Dienstverhältnis die Vergütungsordnung des beklagten Vereins in ihrer jeweiligen Fassung gilt.

Mit Staatsprüfungen am 9. Dezember 1999 erlangte die Klägerin die Lehrbefähigung für zwei Unterrichtsfächer und die Befähigung für das Amt des Lehrers im Unterricht an Förderschulen.

Die Vergütungsordnung des beklagten Vereins, Stand Juli 2005, in der zum 1. Januar 2014 in Kraft getretenen Fassung (Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 26. Mai 2020, Bl. 74-102 dA), sieht vor, dass gegenseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von neun Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen sind. Ansonsten verfielen sie. Die Vergütungsordnung, Stand Januar 1992, sah eine dreimonatige Ausschlussfrist vor.

Bis einschließlich Januar 2019 vergütete der beklagte Verein die Klägerin nach seiner Vergütungsordnung. Die geleistete Bruttovergütung blieb in den Jahren 2016 bis einschließlich Januar 2019 unterhalb 75 % einer Vergütung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) für eine vergleichbare Tätigkeit. Wegen der im Einzelnen erhaltenen Zahlungen und der Bezifferung des Tariflohns für eine vergleichbare Tätigkeit wird auf die Aufstellung in der Klageschrift vom 7. Mai 2020 verwiesen (Bl. 36-39 dA.).

Mit schriftlichem Vertrag vom 30. November 2018 vereinbarten die Parteien, dass ab dem 1. Februar 2019 das Tarifwerk für den öffentlichen Dienst der Länder gelten solle. In dem Vertrag heißt es, die Klägerin sei in die Entgeltgruppe 13, Stufe sechs, eingruppiert.

Mit Klage zum Arbeitsgericht hat die Klägerin für die Monate Januar 2016 bis einschließlich Januar 2019 die Zahlung des Differenzbetrages zwischen der ihr gezahlten Vergütung und einer Vergütung nach dem TV-L einschließlich der Jahressonderzahlung nebst Zinsen gerichtlich geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, die getroffene Vergütungsvereinbarung sei sittenwidrig. Die resultierende Vergütung habe nicht mindestens 70 % der Vergütung eines vergleichbaren Lehrers einer staatlichen und öffentlichen Schule entsprochen. Rechtsfolge sei ein Anspruch auf die übliche Vergütung. Diese sei nach dem vergleichbaren Wirtschaftskreis zu bestimmen, vorliegend dem Kreis der in Brandenburg anerkannten Privatschulen. Die Ansprüche seien im Hinblick auf die Sittenwidrigkeit der Vergütungsabrede nicht verfallen. Zumindest stünde ihr ein entsprechender Schadensersatzanspruch zu. Der Beklagte habe sie nicht den Vorgaben des Nachweisgesetzes entsprechend auf die Geltung der Ausschlussfrist hingewiesen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Beklagten zu ...

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