Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückforderung von Beitragszahlungen im Rahmen des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe wegen Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung zum VTV

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Regelungen des SokaSiG sind nicht verfassungswidrig. Insbesondere verstößt das Gesetz mit der in § 7 SokaSiG geregelten Rückwirkung nicht gegen das auf dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) beruhenden Verbot rückwirkend belastender Gesetze.

 

Normenkette

BGB § 812 Abs. 1 S. 1; SokaSiG § 7; BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 29.03.2018; Aktenzeichen 61 Ca 81038/17)

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 18.10.2020; Aktenzeichen 1 BvR 110/20)

BAG (Urteil vom 24.09.2019; Aktenzeichen 10 AZR 562/18)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. März 2018 - 61 Ca 81038/17 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Rückzahlung von Sozialkassenbeiträgen.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten zuletzt noch die Rückzahlung von geleisteten Beiträgen abzüglich Erstattungsleistungen für Januar 2010 bis Dezember 2014 in Höhe von 1.594.113,00 EUR unter Berufung auf eine ungerechtfertigte Bereicherung.

Der Beklagte ist die gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach Maßgabe von § 3 Abs. 1 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in der jeweils geltenden Fassung (im Folgenden: VTV). Die Klägerin leistete als Baubetrieb aufgrund der für den Klagezeitraum erfolgten Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV in der jeweiligen Fassung Beiträge für Januar 2010 bis einschließlich Dezember 2014 und erhielt Erstattungsleistungen. Nachdem das Bundesarbeitsgericht die Unwirksamkeit von Allgemeinverbindlicherklärungen der Sozialkassentarifverträge für diese Zeiträume festgestellt hat, verlangte die Klägerin vom Beklagten die Rückzahlung der gezahlten Beiträge abzüglich erhaltener Erstattungsleistungen, hinsichtlich eines Teilbetrages unter Fristsetzung zum 17. Februar 2017 (s. Bl. 9-12 d.A.). Der Beklagte lehnte dies im Hinblick auf das in der Folge erlassene Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) ab, gemäß dem der VTV in seiner jeweiligen Fassung ua. für den streitgegenständlichen Zeitraum kraft Gesetzes gilt.

Mit ihrer am 12. Juli 2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen, dem Beklagten am 26. Juli 2017 zugestellten Klage hat die Klägerin die Rückzahlung gezahlter Beiträge abzüglich erfolgter Erstattungsleistungen geltend gemacht. Auf die Berechnung der Forderung im Einzelnen wird Bezug genommen (s. Bl. 4 d.A.).

Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, der Anspruch stehe ihr aufgrund der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen gem. § 812 BGB zu. Aus dem SokaSiG ergebe sich nichts anderes, weil dieses verfassungswidrig sei. Es handle sich um ein Gesetz mit echter Rückwirkung, zwingende Gründe des Gemeinwohls oder des Vertrauensschutzes, die eine solche ausnahmsweise rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Zudem sei dieses Gesetz nicht mit der negativen Koalitionsfreiheit vereinbar und verletze die durch Art. 12 i.V.m. Art. 14 GG bzw. Art. 16 GrCh geschützte unternehmerische Freiheit. Es werde eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht angeregt.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 2.035.180,00 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB aus 1.447.692,00 EUR seit dem 18.02.2017 sowie aus weiteren 587.488,00 EUR seit Klagezustellung (26.07.2017) zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat der Beklagte geltend gemacht, es bestehe kein Rückforderungsanspruch weil die Zahlungen ungeachtet der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen mit Rechtsgrund erfolgt seien. Dieser ergebe sich aus § 7 SokaSiG, wonach der VTV in der jeweiligen Fassung kraft Gesetzes gelte. Das Gesetz sei - auch ausweislich der hierzu vorliegenden Entscheidungen des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 02. Juni 2017 (10 Sa 907/16) - mit der Verfassung vereinbar.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen und zur Begründung - soweit für das Berufungsverfahren relevant - ausgeführt: Die Voraussetzungen einer allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden ungerechtfertigten Bereicherung nach § 812 Abs. 1 BGB lägen nicht vor, da die Beitragszahlungen mit Rechtsgrund erfolgt seien. Dieser ergebe sich zwar nicht aus einer Allgemeinverbindlichkeit des VTV, aber aus § 7 SokaSiG in Verbindung mit den in Bezug genommenen Regelungen des VTV in den jeweiligen Fassungen. Dieses Gesetz sei mit der Verfassung vereinbar (s. hierzu die Ausführungen Bl. 6-13 des Urteils, auf die Bezug genommen wird).

Gegen dieses ihr am 12. April 2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 9. Mai 2018 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 12. Juli 2018 begründet.

Zu...

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