Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung der Transsexualität im AGG. Transsexualität kein Bestandteil des Benachteiligungsverbots. Benachteiligung wegen Ablehnung geschlechtsangleichender Operation als Krankheit. Verschuldensunabhängigkeit bei Berechnung der Entschädigung nach § 15 AGG. Umstände des Einzelfalls zur Berechnung der Entschädigungshöhe
Leitsatz (amtlich)
1. Transsexualität gehört als solche nicht zu den in § 1 AGG genannten Gründen, an die das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG anknüpft. Transsexualität kann aber sowohl im Rahmen des in § 1 AGG angeführten Grundes "Geschlecht" als auch des Grundes "sexuelle Identität" iSv. § 1 AGG von Bedeutung sein.
2. Das Schreiben eines Arbeitgebers, in dem dieser auf eine Anzeige nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG wegen einer anstehenden geschlechtsangleichenden Operation dadurch reagiert, dass er darauf hinweist, dass im Falle eines chirurgischen Eingriffs, der die individuelle Lebensgestaltung des Arbeitnehmers betreffe, worunter zB auch geschlechtsangleichende Operationen fielen, nicht unter das vom Arbeitgeber mitzutragende Krankheitsrisiko falle, da dies der Verpflichtung des Arbeitnehmers entgegenstehe, seine Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden, stellt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot dar.
3. Bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der festzusetzenden Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG sind alle Umstände des Einzelfalls, wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen.
Die Entschädigung muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz gewährleisten. Die Härte der Sanktionen muss der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (vgl. BAG 17. Dezember 2015 - 8 AZR 421/14, Rn. 47, mwN).
4. Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG ist verschuldensunabhängig. Bei der Bemessung der der klagenden Partei nach § 15 Abs. 2 AGG zustehenden Entschädigung dürfen daher nicht Umstände zugunsten der beklagten Partei und damit zulasten der klagenden Partei berücksichtigt werden, die die Motivation der Beklagten betreffen.
Auch wenn das Handeln des Arbeitgebers nicht davon bestimmt ist, die betroffene Person herabzuwürdigen, ist das deshalb für die Bemessung der Entschädigung irrelevant (vgl. BAG 28. Mai 2020 - 8 AZR 170/19, Rn. 31).
Normenkette
AGG §§ 1, 3, 7, 15, 22; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 01.12.2020; Aktenzeichen 58 Ca 12425/19) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. Dezember 2020 - 58 Ca 12425/19 - wird zurückgewiesen.
2. Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. Dezember 2020 - 58 Ca 12425/19 - teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, weitere 2.683,15 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2018 an die Klägerin zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Anschlussberufung der Klägerin zurückgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 7/12 und die Beklagte 5/12 zu tragen.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen mit Diskriminierung begründeten Entschädigungsanspruch.
Die Klägerin ist bei der Beklagten als Beraterin für akademische Berufe beschäftigt. Zugunsten der Klägerin ist seit Juni 2013 ein Grad der Behinderung anerkannt. Sie ist Mitglied des Personalrats der Agentur für Arbeit Berlin Nord und seit 2008 Vertrauensperson der schwerbehinderten Beschäftigten der Agentur.
Die Klägerin, die zum Zeitpunkt ihrer Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet wurde, identifiziert sich mit dem weiblichen Geschlecht. Die Transsexualität der Klägerin ist der Beklagten seit langem bekannt. Die Klägerin hat sie bereits im Jahr 2016 dem Vorsitzenden der Geschäftsführung offenbart. Am 17. Januar 2019 hat die Klägerin in einem Gespräch mit dem Leiter Personal der Regionaldirektion am Rande eines Entwicklungsgesprächs geäußert, dass sie eine geschlechtsangleichende Operation plane und dies auch offen in der Dienststelle kommuniziert.
Im Juli 2019 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie sich in der Zeit vom 30. September 2019 bis voraussichtlich 31. Oktober 2019 zum Zweck der Durchführung eines geplanten chirurgischen Eingriffs im nichteuropäischen Ausland aufhalte und dies als Zeit einer Arbeitsunfähigkeit anzeige. Sie habe dazu Benehmen mit ihrer privaten Krankenversicherung hergestellt. Die Beklagte könne davon ausgehen, dass es sich nicht um einen gesetzeswidrigen Eingriff handele. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Anlage K 5 zur Klageschrift (Bl. 134 dA).
Die Beklagte reagierte hierauf mit Schreiben vom 5. August 2019, in dem es ua. heißt:
"... mit o...