Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Verschiebung des Termins zur Personalratswahl
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der grundrechtlichen Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf freie Meinungsäußerung ist zu prüfen, ob die beanstandeten Äußerungen an einen wahren Tatsachenkern anknüpfen. Persönlichkeitsinteressen haben regelmäßig hinter der Meinungsfreiheit zurückzustehen, wenn die umstrittene Äußerung Tatsachen zum Gegenstand hat, die als wahr anzusehen sind. Denn wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind.
2. Bei Eintritt zwingender Gründe - etwa Wahlhindernisse durch eine Verordnung zur COVID19-Pandemie - ist der Wahlvorstand ausnahmsweise befugt, eine nachträgliche Änderung des Termins zur Stimmabgabe zu beschließen und durchzuführen.
Normenkette
EMRK Art. 10 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; BGB § 823 Abs. 1, § 1004; BPersVG § 27 Abs. 1; BPersVWO § 1 Abs. 4, §§ 6, 32, 34
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.12.2021; Aktenzeichen 36 Ca 17019/20) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Dezember 2021 - 36 Ca 17019/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Unterlassung von Äußerungen.
Für die für 2020 vorgesehene Wahl zum Bundespolizeihauptpersonalrat bei dem B. des I., für B. und H. (BMI) wurde ein Bundespolizeihauptwahlvorstand gebildet. Von dessen drei Mitgliedern gehörten zwei Mitglieder der klagenden Gewerkschaft an und ein Mitglied dem Beklagten, der als eingetragener Verein ebenfalls eine Gewerkschaft ist.
Der Bundespolizeihauptwahlvorstand erließ am 27.02.2020 das Wahlausschreiben. Dort ist unter Ziffer 22 festgelegt, dass die Wahl am 12., 13. und 14.05.2020 stattfindet.
Am 17.03.2020 beschloss der Bundespolizeihauptwahlvorstand, die Durchführung einer Briefwahl für alle Wahlberechtigten vorzubereiten.
Am 08.04.2022 veröffentlichte das BMI eine Pressemitteilung. Dort heißt es:
"Bundesregierung beschließt Maßnahmenpaket zur Sicherstellung der Personalratsarbeit während der COVID-19-Pandemie
Das Bundeskabinett hat heute eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, die die kontinuierliche Mitbestimmung im öffentlichen Dienst durch Personalvertretungen auch während der COVID-19-Pandemie sicherstellen sollen. Dringlichkeit besteht insbesondere in Bezug auf die derzeit stattfindenden Personalratswahlen in den Bundesbehörden, die in vielen Dienststellen aufgrund der derzeitigen Lage nicht durchgeführt werden können.
In einem ersten Schritt hat die Bundesregierung daher heute eine Änderung der Wahlordnung zum Bundespersonalvertretungsgesetz beschlossen, die die rechtssichere Umstellung von Präsenz- auf Briefwahl erlaubt. Hinzu kommen organisatorische Erleichterungen wie die Stabilität von Wahllisten, auch wenn der Wahltermin verschoben werden muss.
Das Bundeskabinett hat zudem Formulierungshilfen für eine bis 31. März 2021 befristete Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes vorgelegt. Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass bestehende Personalvertretungen bis zum Abschluss der Wahlen geschäftsführend im Amt bleiben können. [...]
Sämtliche Regelungen sind befristet bis zum 31. März 2021 und treten rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft, um Rechtssicherheit für den gesamten Wahlzeitraum zu schaffen."
Am 15.04.2020 fand eine außerordentliche Sitzung des Bundespolizeihauptwahlvorstands statt. In dem hierüber gefertigten Protokoll heißt es:
"2. Personalratswahlen 2020 - Ergänzung des Wahlausschreibens
(Nachträgliche Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe gem. § 19a (2) BPersVWO)
[...] H. T. hat zwei Anmerkungen [...] Zum anderen bittet er um Erläuterung, warum der HWV keine Wahlverschiebung in Betracht zieht, obwohl dies nun gesetzlich möglich und aufgrund der aktuellen Lage dringendst geboten wäre. [...]
Abstimmung: angenommen bei -1- Enthaltung
3. Anschreiben Klarstellung - keine Verschiebung der Wahlen
Der Vorsitzende liest das Anschreiben vor (siehe Anlage) und bittet die Anwesenden um Stellungnahme.
T. M. hat Probleme mit der Nichtverschiebung der Personalratswahlen, trotz inzwischen erfolgter gesetzlicher Regelung zur Öffnung einer Verschiebung. [...]
Abstimmung: angenommen bei -1- Enthaltung"
Noch am selben Tag veröffentlichte der Beklagte auf der von ihm verantworteten Webseite folgenden von ihm und einer Vereinigung zur Vertretung der Interessen von Kriminalbeamten (BDK) gezeichneten Text:
"GdP-geführter Hauptwahlvorstand hält am Wahltermin fest und vergibt große Chance!
Gemeinsam für die Bundespolizei
... - In einem heute an alle Beschäftigten der Bundespolizei veröffentlichten Schreiben teilt der Hauptwahlvorstand mit, dass nach Abstimmung mit den Gesamtwahlvorständen auf Ebene der Direktionen, der Bundespolizeiakademie und des Bundespolizeipräsidiums davon auszugehen ist, dass die Wahlen vom 12.-14. Mai 2020 ordnungsgem...