Entscheidungsstichwort (Thema)
Unbegründete negative Feststellungsklage der Arbeitgeberin zum Bestand eines Arbeitsverhältnisses bei Übernahme der Lohnfertigung durch Generalbevollmächtigte im Rahmen eines Betriebsführungsvertrages
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Betriebsübergang liegt nur vor, wenn es zu einem Wechsel in der Person des Inhabers kommt. Daran fehlt es im Rahmen eines so genannten echten Betriebsführungsvertrages, wenn der vermeintliche Betriebsübernehmer nach außen gegenüber Kunden und Lieferanten nicht als Betriebsinhaber auftritt.
2. An einem Betriebsübergang fehlt es auch, wenn der bisherige Betriebsinhaber seine wirtschaftliche Tätigkeit in dem Betrieb nicht einstellt, weil er gegenüber dem vermeintlichen Betriebsübernehmer einseitig Richtlinien erlassen und Weisungen erteilen darf.
3. Die Regelungen zum Betriebsübergang sind nicht dazu da, den Arbeitnehmern einen neuen, möglichst "armen" Vertragspartner zuzuweisen.
Normenkette
BGB §§ 242, 613a, 611 Abs. 1, § 613a Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 18.11.2015; Aktenzeichen 39 Ca 8638/15) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. November 2015 - 39 Ca 8638/15 - abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
III. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten - in zahlreichen Parallelverfahren sowohl vor dem hiesigen Landesarbeitsgericht als auch dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - im Rahmen einer negativen Feststellungsklage darüber, ob über den 31.03.2011 hinaus wegen eines Betriebsübergangs ein Arbeitsverhältnis zwischen ihnen nicht bestanden hat und nicht besteht.
Die Klägerin war unstreitig bis zum 31.03.2011 Arbeitgeberin des hiesigen Beklagten. Sie produzierte und produziert aus Holz und Kunststoff Fensterbänke, Fassaden, Balkone, Terrassenbeläge und Tischplatten. Hierbei betrieb sie die Standorte Berlin, Niederorschel (Thüringen) und Oberstenfeld (Baden-Württemberg, auch Sitz der Zentrale). Im Internet tritt bis heute ausschließlich die Klägerin als Produzentin auf.
Der beklagte Arbeitnehmer war seit 1980 für die Klägerin (bzw. ihre Rechtsvorgängerin) als Betriebselektriker tätig und erhielt zuletzt 1.900,00 € brutto monatlich. Er war zugleich der Vorsitzende des Berliner Betriebsrats und Mitglied des Gesamtbetriebsrats. Per 31.03.2011 waren in Berlin 34 Arbeitnehmer beschäftigt. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit betrug ca. 30 Jahre.
Im Sommer des Jahres 2010 beschloss der Beirat der Klägerin, eine Schwestergesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG mit den gleichen Beteiligungsverhältnissen wie bei der Klägerin zu gründen. Das Eigentum an den Immobilien, Produktionsmitteln und Patenten sollte bei der Klägerin verbleiben. Die neue Gesellschaft sollte hingegen die Produktion der Klägerin als Lohnfertigung übernehmen und den Betrieb im Rahmen eines Betriebsführungsvertrages organisieren.
Als Vorbereitung zur Umsetzung dieser Konzeption schloss die Klägerin mit dem Gesamtbetriebsrat im Oktober 2010 einen Interessenausgleich (Bl. 119ff. d. A.). Dieser hatte die Übernahme aller Arbeitnehmer durch eine neu zu gründende Gesellschaft zum Gegenstand. Mit Schreiben vom 01.03.2011 wurden alle Arbeitnehmer über einen Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf diese neu gegründete Gesellschaft informiert (Bl. 8ff. d. A.).
Im März 2011 schlossen die Klägerin und die neu gegründete Industriewerke W. GmbH + Co. KG vertreten durch die jeweils identischen Geschäftsführer der Komplementärinnen eine "Vereinbarung über Lohnfertigung und Geschäftsbesorgungsvertrag über Betriebsführung" (im Folgenden: Vereinbarung 2011), in der die Klägerin als "W." und die neu gegründete Gesellschaft als "I. W." bezeichnet ist. Darin heißt es u. a. (Bl. 123ff. d. A.):
"Vorbemerkung:
W. ist ein weltweit tätiger Hersteller von Bauelementen (Fensterbänke, Balkon-, Fassadenelemente, Terrassenprofile), Tischplatten, Industrieformteilen und Sperrholz-Formteilen (insbesondere Federleisten) und verfügt in Deutschland über 3 Standorte in O., N. und B..
Im Dezember 2010 wurde eine neue Schwestergesellschaft, die I. W. GmbH + Co. KG, mit dem Sitz in O. gegründet. Diese neue Gesellschaft soll in Zukunft die Produkte von W. in Lohnfertigung herstellen und im Übrigen die drei Betriebe von W. in Deutschland führen. Die Mitarbeiter von W. werden zum Stichtag 1. April 2011 im Rahmen eines gesetzlichen Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB auf die neu gegründete I. W. GmbH + Co. KG übergehen.
Dies vorausgeschickt, vereinbaren die Vertragsparteien folgendes:
A. Lohnfertigung
§ 1 Vertragsinhalt/Entgelt
Die I. W. führt die komplette Produktion der W.-Produkte an allen 3 inländischen Standorten ab dem 1. April 2011 in Lohnfertigung weiter. Dies umfasst insbesondere die Herstellung und Bearbeitung der folgenden Produkte nach den Vorgaben von W.:
...
Die Vergütung der von der I. W. erbrachten Leistungen erfolgt anhand der von der I. W...