Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe bei arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf unwirksame Staffelung nach tariflichen Lebensaltersstufen. Differenzlohnklage einer Heilerziehungspflegerin in gemeinnütziger Einrichtung
Leitsatz (redaktionell)
1. Haben die Parteien im Arbeitsvertrag eine Vergütung der Arbeitnehmerin nach dem BAT unter Berücksichtigung der Lebensaltersstufen gemäß § 27 Abschn. A BAT vereinbart und erweist sich das von der Arbeitgeberin angewendete System der Lebensaltersstufen nach dem BAT als altersbenachteiligend und damit unwirksam (§ 7 Abs. 2 AGG), ist die Arbeitgeberin bis zur Einführung eines benachteiligungsfreien Entgeltsystems verpflichtet, die Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe vorzunehmen.
2. Der Umstand, dass die in § 27 Abschn. A BAT angeordnete Bemessung der Grundvergütungen in den Vergütungsgruppen des BAT nach Lebensaltersstufen gegen das primärrechtliche Verbot der Ungleichbehandlung wegen des Alters verstößt und eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 78/2000/EG vom 27.11.2000 darstellt, führt nicht dazu, dass es an einer Bezugsgröße für die Anpassung "nach oben" fehlt.
Normenkette
AGG § 7; BGB § 611 Abs. 1; AGG § 7 Abs. 2; BAT § 27 Abschn. A; EU-Grundrechtecharta Art. 21; EGRL 78/2000 Art. 2 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 2000-11-27, Art. 6 Abs. 1 Fassung: 2000-11-27
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 19.02.2015; Aktenzeichen 57 Ca 11298/14) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19.02.2015 - 57 Ca 11298/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin ab dem 01.07.2011 einen Anspruch auf Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe des BAT hat und über sich daraus ergebende Differenzansprüche.
Die am ...1974 geborene Klägerin war auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 18.10.2007 seit dem 01.11.2007 als Heilerziehungspflegerin mit zuletzt 29,25 Stunden pro Woche bei der Beklagten beschäftigt. In Ziff. 5 des Arbeitsvertrages heißt es: "Die Vergütung erfolgt in Anlehnung an Vc/Vb." Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 6 und 7 d. A. sowie auf die Nebenabrede vom 25.01.2008 (Bl. 8 d. A.) Bezug genommen.
Bei der Beklagten handelt es sich um eine gemeinnützige Trägerin, die Zuwendungen des Landes Berlin erhält. Sie ist nicht tarifgebunden, orientierte sich aber bisher bei der Grundvergütung ihrer ca. 135 Mitarbeiter an den Regelungen des BAT einschließlich der dort geregelten Lebensaltersstufen. Es ist ein Betriebsrat gebildet, mit dem sich die Beklagte seit 2014 in Verhandlungen über die Einführung eines neuen Vergütungssystems befindet.
Die Beklagte zahlte an die Klägerin vom 01.07.2011 bis zum 31.10.2011 Vergütung nach der VergGr Vc BAT, Lebensaltersstufe 35, ab dem 01.11.2011 Vergütung nach der VergGr Vb BAT, Lebensaltersstufe 35. Ab dem 01.08.2011 berechnete sie die Grundvergütung gemäß der VergGr V b BAT nach der Lebensaltersstufe 37 und ab dem 01.08.2013 nach der Lebensaltersstufe 39.
Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 10.11.2011 - 6 AZR 148/09 zur Altersdiskriminierung durch die Lebensaltersstufenregelungen im BAT beanspruchte die Klägerin mit Schreiben vom 8. Dezember 2011 unter Bezugnahme auf dieses Urteil die Nachberechnung ihrer Grundvergütung auf Basis der Vergütungsgruppen Vc/Vb und der Lebensaltersstufe 45 BAT/BAT-O (in der für das Land Berlin bis zum 31.10.2010 geltenden Fassung). Für die Einzelheiten dieses Schreibens, dessen Eingang die Beklagte mit Schreiben vom 13.12.2014 bestätigte, wird auf Bl. 9 d. A. Bezug genommen.
Nachdem die Beklagte auch auf ein weiteres Geltungsmachungsschreiben der Klägerin vom 09.03.2012 (Bl. 11 d. A.) keine Nachzahlungen vorgenommen hat, macht die Klägerin mit der beim Arbeitsgericht am 11. August 2014 eingegangenen Klage die Vergütungsdifferenzen zwischen der gezahlten Lebensaltersstufe und der Lebensaltersstufe 45 für den Zeitraum vom 01.07.2011 bis zum 31.05.2014 gerichtlich geltend und begehrt weiterhin die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin auch zukünftig Vergütung nach der Lebensaltersstufe 45 der Vergütungsgruppe Vb zu zahlen. Die Beklagte hält den Anspruch schon deshalb für nicht gegeben, weil sie sich in Verhandlungen mit dem Betriebsrat um den Abschluss einer diskriminierungsfreien Vergütungsordnung bemüht habe. Außerdem seien Ansprüche der Klägerin aufgrund der tariflichen Ausschlussfristen für verfallen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19. Februar 2015, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, - soweit für das Berufungsverfahren relevant - die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 4.279,94 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.08.2014 zu zahlen und festgest...