Entscheidungsstichwort (Thema)
Recht zur Überwachung des Arbeitnehmers nur bei Verdacht schwerwiegender Pflichtverletzungen. Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch Arbeitnehmer bei unverhältnismäßiger Überwachung. Unzulässigkeit der Überwachung der Ehefrau des Arbeitnehmers. Erstattung von notwendigen Detektivkosten nur bei konkretem Verdacht
Leitsatz (amtlich)
Im Falle einer Beobachtung eines Arbeitnehmers durch Detektive an mehreren Tagen nebst Fertigung von Fotos ohne einen auf konkrete Tatsachen gegründeten Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung und ohne Ausschöpfung anderer verfügbarer Erkenntnisquellen vor Anordnung der Überwachung ergibt sich aus einer hierin liegenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot.
Im Falle einer solchen Beobachtung kann abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer unzumutbar im Sinne des § 9 Abs. 1 KSchG sein.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1 Abs. 2; GG Art. 1 Abs. 1; BDSG § 26 Abs. 1; KSchG §§ 9-10; GG Art. 2 Abs. 1; BGB § 254
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 07.02.2020; Aktenzeichen 7 Ca 6511/19) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 07. Februar 2020 - 7 Ca 6511/19, 7 Ca 11825/19 - unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13.05.2019 aufgelöst wird.
Das Arbeitsverhältnis wird gemäß §§ 9, 10 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung von 31.925,65 EUR (Einunddreißigtausendneunhundertfünfundzwanzig 65/100) zum 31. Dezember 2019 aufgelöst.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits I. und II. Instanz zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses und die Erstattung von Detektivkosten.
Der bei Klageerhebung 58-jährige Kläger ist seit 1. Mai 1990 bei der Beklagten tätig, zuletzt als Vertriebsleiter. Es bestehen keine Unterhaltspflichten. Gemäß der Lohnsteuerbescheinigung erhielt der Kläger für das Jahr 2018 ein Entgelt von 103.684,33 Euro brutto. Die Beklagte beschäftigt über zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
In der Reisekostenabrechnung des Klägers für den 17. Oktober 2016 ist angegeben: Beginn 8:00 Uhr, Ende 20:00 Uhr, Anzahl Stunden abwesend 12:00, Zweck der Reise: O-Stadt Baustellenbesuch, steuerfreier Pauschbetrag 2,40 Euro, Verpflegung 5,00 Euro. Der Spesenabrechnung beigefügt war eine Quittung der Raststätte in XXXXX V-Stadt, 15.08 Uhr über zwei Kaffee.
Am 25. März 2019 beobachtete die Detektei T. im Auftrag der Beklagten den Kläger mit vier "Sachbearbeitern" beginnend an dessen Wohnhaus in D-Stadt. Nach dem Beobachtungsbericht verließ der Kläger sein Wohnhaus um 10.01 Uhr mit seinem Firmenwagen, fuhr nach G-Stadt, stellte das Fahrzeug ab, ging durch die Stadtmitte, suchte in einem Einkaufszentrum eine Toilette auf, machte ein Foto von einer Baustelle des C. G. G., fuhr nach N-Stadt, hielt dort in der T-Straße an, ohne das Auto zu verlassen, nahm in N-Stadt in einer Fleischerei eine Mahlzeit zu sich, fuhr weiter durch B-K-Stadt und kam um 15.44 Uhr wieder an seiner Wohnung in D-Stadt an und verlies diese nicht mehr. Nach dem Bericht wurden keine geschäftlichen Aktivitäten durchgeführt. Auf den Beobachtungsbericht unter detaillierter Schilderung der Abläufe und Vorlage zahlreicher Fotos wird Bezug genommen (s. Bl. 190ff d.A.).
Am 3. April 2019 reichte der Kläger seine Reisekostenabrechnung für den März 2019 bei der Beklagten ein. Für den 25. April 2019 ist hier angegeben: Beginn 7:00 Uhr, Ende 18:30 Uhr, Anzahl Stunden abwesend 11:30, Zweck der Reise: Baustellenbesuche G-Stadt, N-Stadt, L-Stadt, steuerfreier Pauschbetrag 2,40 Euro, Verpflegung 4,50 Euro.
Auch am 2. April 2019 beobachtete die Detektei T. im Auftrag der Beklagten den Kläger mit vier "Sachbearbeitern" beginnend an dessen Wohnhaus in D-Stadt. Nach dem Beobachtungsbericht verließ zunächst die Ehefrau des Klägers das Haus und wurde von Mitarbeitern der Detektei bei ihrer Fahrt mit dem Firmenwagen und dem Aufsuchen einer Fußpflegepraxis beobachtet, hierzu wurden Fotos erstellt. Der Kläger verließ nach dem Beobachtungsbericht das Haus mit dem Firmenwagen um 11.58 Uhr, tätigte in der Folgezeit diverse Einkäufe (Fahrradschuhe, Kartoffeln, Bier), entlud Altglas, betankte und reinigte den Wagen, betrat um 13.14 Uhr die Metzgerei E. GmbH in D-Stadt, bestellte sich an der Theke ein Essen und verzehrte dieses vor Ort. Auf den Beobachtungsbericht unter detaillierter Schilderung der Abläufe und Vorlage zahlreicher Fotos des Klägers u.a. beim Essen wird Bezug genommen (s. Bl. 62ff d.A.).
Am 7. Mai 2019 reichte der Kläger seine Reisekostenabrechnung für den April 2019 bei der Beklagten ein. Für den 2. April 2019 ist hier angegeben: Beginn 8:00 Uhr, Ende 17:30 Uhr, Anzahl Stunden abwesend...