Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses einer tariflich unkündbaren Arbeitnehmerin aufgrund gesetzlicher Vorschrift und durch betriebsbedingte Kündigung. Beendigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund Schließung einer Betriebskrankenkasse
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Regelungen in § 164 SGB V sind auf den Fall der Schließung einer Betriebskrankenkasse entsprechend anzuwenden.
2. Wird eine Betriebskrankenkasse (hier: wegen Überschuldung) geschlossen, so enden die Arbeitsverhältnisse ihrer Bediensteten nicht kraft Gesetzes.
3. Ist ein Arbeitsverhältnis aufgrund des geltenden Tarifvertrages unkündbar, so kann es durch ordentliche Kündigung nur beendet werden, wenn zuvor das Unterbringungsverfahren gem. § 164 Abs. 3 SGB V durchgeführt worden ist. Nur einem Arbeitnehmer, dem zuvor ein zumutbares Unterbringungsangebot unterbreitet worden ist, kann, wenn er dieses ablehnt, ordentlich gekündigt werden.
4. Ein Weiterbeschäftigungsangebot bei einer anderen Betriebskrankenkasse, das der bisherigen Stellung des Arbeitnehmers in der betrieblichen Hierarchie der (geschlossenen) Betriebskrankenkasse auch hinsichtlich der Vergütung nicht entspricht, ist nicht zumutbar.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2-3; SGB V § 155 Abs. 4 S. 9, § 164 Abs. 2-4
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.12.2011; Aktenzeichen 16 Ca 8181/11) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.12.2011 - 16 Ca 8181/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund gesetzlicher Anordnung sowie über die Wirksamkeit zweier vorsorglicher Kündigungen seitens der Beklagten.
Die Beklagte entstand mit Wirkung zum 01.01.2004 durch Zusammenschluss der BKK B. und der BKK H.. Weitere Fusionen mit der B. BKK und der b. BKK erfolgten zum 01.01.2005.
Die am ......1959 geborene Klägerin, die mit einem Grad der Behinderung von 30 als schwerbehinderter Mensch anerkannt ist und mit Schreiben vom 03.05.2011 einen Gleichstellungsantrag gestellt hat, war seit 01.04.2000 bei der Beklagten bzw. bei deren Rechtsvorgängerin, tätig. Vor der Fusion mit der B. GmbH war sie als Personalleiterin, zuletzt als Teamleiterin mit einem Monatsentgelt von 5.368,13 € brutto einschließlich einer Besitzstandszulage beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Betriebskrankenkassen vom 15.03.2010/24.03.2011 (künftig: MTV) Anwendung. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 MTV ist das Arbeitsverhältnis nur noch aus einem in der Person der Klägerin oder ihrem Verhalten liegenden wichtigen Grund außerordentlich kündbar.
Nach Anzeige der Überschuldung durch die Beklagte am 07.04.2011 ordnete das Bundesversicherungsamt mit Bescheid vom 04.05.2011 die Schließung der Beklagten zum 30.06.2011 an.
Mit Schreiben vom 09.05.2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Schließung mit dem 30.06.2011 ende.
Der Landesverband der Betriebskrankenkassen Baden-Württemberg machte der Klägerin mit Schreiben vom 13.05.2011 (Bl. 10/11 d. A.) folgendes Beschäftigungsangebot:
"BKK, Sitz |
p. BKK, L. |
Standort |
L. |
Funktion: |
Sachbearbeiterin |
Geschäftsbereich: |
Privatkunden |
Vergütung: |
2.480 - 3.960 € (unter Berücksichtigung der Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung) |
Anzuwendender Tarifvertrag: |
Haustarif" |
Dieses Angebot lehnte die Klägerin als nicht zumutbar ab.
Mit Schreiben vom 20.04.2011 und 04.05.2011 unterrichtete die Beklagte den bei ihr gebildeten Hauptpersonalrat darüber, dass sie alle Arbeitsverhältnisse vorsorglich zum 30.06.2011 und höchstvorsorglich fristgemäß bzw. bei den tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern außerordentlich mit sozialer Auslauffrist kündigen werde. Der Hauptpersonalrat erhob hiergegen mit Schreiben vom 17.05.2011 Einwendungen. Mit Schreiben vom 20.05.2011 und vom 23.05.2011 nahm die Beklagte hierzu Stellung und forderte den Hauptpersonalrat erfolglos auf, einen Terminvorschlag für ein Gespräch zu benennen.
Mit Schreiben vom 19.05.2011 (Bl. 13 d. A.) und - nach Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes - vom 22.06.2011 (Bl. 21 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2011 und höchst vorsorglich zum nächstmöglichen Termin am 31.12.2011.
Mit am 30.05.2011 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangener Klage hat sich die Klägerin gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2011 aufgrund des Schließungsbescheids sowie gegen die außerordentliche Kündigung vom 19.05.2011, und mit Klageerweiterung vom 27.06.2011, gegen die außerordentliche Kündigung vom 22.06.2011 gewandt.
Seit ihrer Schließung tritt die Beklagte als "C. BKK Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung" auf. Die Klägerin unterzeichnete am 29.06.2011 einen befristeten Arbeitsvertrag für die Zeit vom 01.07.2011 bis 31.03.2012 als Teamleiterin mit der "C. BKK Körperschaft des öffentlichen Rechts ...