Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Verstoß des SokaSiG gegen Rückwirkungsverbot

 

Leitsatz (amtlich)

Das SokaSiG ist nicht verfassungswidrig.

 

Leitsatz (redaktionell)

Das SokaSiG verstößt weder gegen das Rückwirkungsverbot noch gegen die negative Koalitionsfreiheit. Es stellt auch kein unzulässiges Einzelfallgesetz dar.

 

Normenkette

TVG a.F. § 5; SokaSiG; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 05.10.2017; Aktenzeichen 66 Ca 80810/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 30.10.2019; Aktenzeichen 10 AZR 371/18)

 

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 05.10.2017 - 66 Ca 80810/17 - wird auf seine Kosten bei einem Streitwert von 10.221,78 EUR in der 2. Instanz zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für den Beklagten zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Beitragszahlung des Beklagten an den Kläger, die gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft, welche nach näherer tariflicher Maßgabe als Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes in Form des Vereins fungiert.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 05.10.2017 den Beklagten verurteilt, an den Kläger 10.221,78 EUR zu zahlen. Dies hat es im Wesentlichen damit begründet, dass der Beklagte im Klagezeitraum 2011 bis Januar 2014 bis zur Einstellung des Betriebes einen Baubetrieb unterhielt, was es im Einzelnen anhand der überwiegend erbrachten Bautätigkeiten auf Seite 5 des Urteils (Bl. 56 d.A.) näher begründet hat.

Wegen der weiteren konkreten Ausführungen des Arbeitsgerichts Berlin und des Vortrags der Parteien erster Instanz wird auf das Urteil Bl. 52 - 60 d.A. verwiesen.

Gegen dieses ihm am 27.10.2017 zugestellte Urteil richtet sich die am 27.11.2017 per Fax eingegangene und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 10.01.2018 am 10.01.2018 per Fax begründete Berufung des Beklagten.

Er greift das Urteil erster Instanz weder hinsichtlich der Höhe der Zahlungen noch hinsichtlich der Feststellungen an, dass ein Baubetrieb vorliegt, sondern meint, dass mangels einer Tarifgebundenheit des Beklagten der für die Beitragszahlung maßgebliche Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) nicht wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden sei, was durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unstreitig für den Klagezeitraum festgestellt worden wäre.

Das aufgrund dieser Rechtsprechung am 25.05.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Sicherung der Sozialkassen im Baugewerbe vom 24.05.2017 (BGBl I Nr. 29, S. 1210, im Folgenden: SokaSiG) sei verfassungswidrig. Denn es regele nunmehr gesetzlich die Sozialkassenpflicht für Bauarbeitgeber für zehn Jahre rückwirkend. Dies verstoße gegen das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verankerte Verbot rückwirkend belastender Gesetze. Eine sog. echte Rückwirkung sei grundsätzlich unzulässig. Sie liege vor, wenn das Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreife. Das Verbot echter Rückwirkung könne nicht ausnahmsweise vorliegend durchbrochen werden. Denn der Tarifvertrag werde nicht durch einen anderen Tarifvertrag ersetzt, keine Allgemeinverbindlicherklärung durch eine andere Allgemeinverbindlicherklärung, sondern durch ein neues Gesetz. Aus einer tarifvertraglichen Regelung sei eine gesetzliche Regelung geworden, obwohl eine solche nie bestanden hätte. Dass ein Gesetz an die Stelle des Tarifvertrags treten würde, sei schlicht nicht vorhersehbar gewesen und so ungewöhnlich, dass die Betroffenen hiermit sicherlich nicht gerechnet hätten und auch nicht hätten rechnen können.

Zudem könne der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) eines Tarifvertrages im Gegensatz zu einer Rechtsverordnung schon prinzipiell nicht durch ein Parlamentsgesetz Rückwirkung beigelegt werden. Denn AVE und Rechtsverordnung seien ihrem Wesen nach verschiedene Rechtsakte: Bei der AVE von Tarifverträgen handele es sich im Verhältnis zu den nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern weder um einen Verwaltungsakt noch um eine Rechtsverordnung iSv. Art. 80 GG. Vielmehr stelle die AVE einen Rechtssetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtssetzung dar, der seine eigenständige Grundlage in Art. 9 Abs. 3 GG finde.

Anders als eine Verordnung entspringe die für allgemeinverbindlich erklärte Regelung nicht notwendig dem Willen staatlicher Regelungsakteure. Die AVE erfolge nicht aus eigenem Antrieb des Bundesministers, sondern allein auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien. Auch ihr Inhalt sei nicht ins Belieben des Ministers gestellt, denn inhaltliche Veränderungen einzelner Regelungen blieben ihm verwehrt. Ihr liege damit eine Regelung zugrunde, die die Tarifvertragsparteien in Ausübung der in Art. 9 Abs. 3 GG verbürgten kollektiven Privatautonomie geschaffen hätten und die sie ausdrücklich auf Außenseiter erstrecken wollten.

So seien auch die Rechtswirkungen materiell wie prozessual andere: Seien Tarifverträge...

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