Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Verfall eines Urlaubsabgeltungsanspruchs nach Gesetz oder Vertrag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kein Verfall eines Urlaubsabgeltungsanspruchs aufgrund vertraglicher Ausschlussfrist von sechs Wochen.

2. Das Bundesarbeitsgericht hat die Surrogatstheorie für den Fall der Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums bereits mit Urteil vom 24. März 2009 (– 9 AZR 983/07 – AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG = NZA 2009, 538 = EzA § 7 BUrlG Abgeltung Nr. 15, Rn. 44 ff.) aufgegeben.

3. Der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Vollurlaubs für 2009 entsteht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses als reiner Geldanspruch (vgl. BAG 4. Mai 2010 – 9 AZR 183/09 – NZA 2010, 1011 = NJW 2010, 3469 = EzA § 7 BUrlG Abgeltung Nr. 17, Rn. 17 ff.). Diese auf eine finanzielle Vergütung gerichtete Forderung bleibt in

4. Für einen Regelungswillen der Parteien des Einzelarbeitsvertrags, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen unterscheidet, müssen im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB deutliche Anhaltspunkte bestehen. Regel ist der „Gleichlauf” der Ansprüche. Ausnahme ist ihr unterschiedliches

5. Die dem EuGH in der Sache C 214/10 (dazu jetzt die Schlussanträge der Generalanwältin Verica Rstenjak vom 7. Juli 2011 im Anschluss an AnwK-ArbR/Düwell § 7 BUrlG Rn. 92) vorgelegte Frage betrifft unmittelbar nur den Urlaubs-, nicht den Urlaubsabgeltungsanspruch.

6. Es bedarf grds. keiner Geltendmachung des Abgeltungsanspruchs der Arbeitnehmerin vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums, wenn der Urlaub bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf des Urlaubsjahres aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit nicht mehr genommen werden konnte.

 

Normenkette

BUrlG § 5 Abs. 1 Buchst. a, § 7 Abs. 4, 3; BGB § 305 ff.

 

Verfahrensgang

ArbG Neuruppin (Urteil vom 19.10.2010; Aktenzeichen 4 Ca 1088/10)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgericht Neuruppin vom 19.10.2010 – 4 Ca 1088/10 – abgeändert und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.422,77 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.07.2010 zu zahlen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu zahlen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Urlaubsabgeltungsanspruch.

Die Klägerin war bei dem Beklagten als Familienhelferin beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag hatten die Parteien 30 Urlaubstage vereinbart. Unter Nr. 6 des Arbeitsvertrages heißt es dazu:

„Frau H. erhält einen Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen, …”

Nr. 9 des Arbeitsvertrages lautet:

„Ansprüche aus dem Dienstverhältnis, die nicht innerhalb von 6 Wochen nach dem Ausscheiden aus dem Dienst geltend gemacht werden, erlöschen.”

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Jahr 2009. In der Kündigungsschutzklage machte die Klägerin auch „sämtliche Entgeltansprüche geltend, u.a. auch Urlaub, Urlaubsentgelt, Urlaubsabgeltung, Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leitungen sowie für den Fall, dass das Verfahren über das Jahresende hinaus fortdauere die Übertragung der Urlaubsjahre auf das Folgejahr”, ohne diese aber zum Gegenstand des Rechtsstreits zu machen. In dem Kündigungsschutzprozess schlossen die Parteien am 6. November 2009 einen Vergleich, in dem sie sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2009 einigten. In dem Vergleich erklärten die Parteien unter Nr. 3 den Rechtsstreit für erledigt. Eine umfassende Ausgleichsklausel beinhaltet der Vergleich nicht. Bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses konnte die Klägerin ihre Urlaubsansprüche für das Jahr 2009 krankheitsbedingt nicht realisieren. Sie war auch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch bis zum 4. Mai 2010 arbeitsunfähig krank. Einen bezifferten Abgeltungsanspruch machte sie erst mit Schreiben vom 22. Juni 2010 geltend.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 3.422,77 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, der Urlaubsabgeltungsanspruch sei nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Die Klägerin habe es versäumt, den Anspruch noch im Jahr 2009 geltend zu machen. Das hätte sie aber nach der gefestigten Rechtsprechung des BAG aus den 90er Jahren, aber auch nach einer Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg und anderen LAG-Entscheidungen machen müssen, um ihren Anspruch zu erhalten. Mit ihrer am 30. Juni 2009 eingereichten Klage habe die Klägerin ihren Urlaubsabgeltungsanspruch nicht geltend machen können, da das Arbeitsverhältnis damals noch nicht beendet gewesen und der Abgeltungsanspruch daher nicht fällig gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und das im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin mit der Formulierung in dem Vergleich, wonach der Rechtsstreit erledigt sei, auf den Abgeltungsanspruch verzichtet habe. Der Urlaubsabgeltungsanspr...

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