Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung. Langandauernde Erkrankung. Begründung von Urlaubsansprüchen während Zeiten der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

§ 7 Abs. 3 BUrlG ist im Wege richtlinienkonformer Rechtsfortbildung nur insoweit teleologisch zu reduzieren, als sich der Übertragungszeitraum für den Vollurlaubsanspruch von den im BUrlG vorgesehenen drei Monaten auf 15 Monate verlängert (so auch LAG Baden-Württemberg - 10 Sa 19/10 - 28.12.2011). Ist der Arbeitnehmer aufgrund durchgehender Arbeitsunfähigkeit auch während dieses zusätzliche 15-monatigen Zeitraums gehindert, die Freistellung von der Arbeitspflicht in Anspruch zu nehmen, so verfällt der Urlaubsanspruch.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 16.06.2011; Aktenzeichen 57 Ca 3483/11)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16.06.2011 - 57Ca 1790/11 - teilweise abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen, als die Beklagte verurteilt worden ist, an die Kläger mehr als 5.227,80 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.11.2010 zu zahlen. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits I. Instanz haben bei einem Streitwert von 32.151,52 Euro die Klägerin 83,7 % und die Beklagte 16,3 % zu tragen. Von den Kosten der II. Instanz haben die Klägerin 80,3 % und die Beklagte 19,7 %.

III. Die Revision wird für die Klägerin und die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien stritten erstinstanzlich über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung, hilfsweise machte die Klägerin Urlaubsabgeltungsansprüche geltend. In der Berufungsinstanz streiten die Parteien, nachdem die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtskräftig feststeht, lediglich noch über die Höhe der Urlaubsabgeltung.

Die Klägerin war bei der Beklagten seit Oktober 1992 als Büroangestellte tätig. Sie erzielte zuletzt eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 1.888,00 Euro. Die Klägerin war seit dem 18.01.2002 arbeitsunfähig erkrankt. Vom 01.01. bis 30.04.2003 erfolgte ein Eingliederungsversuch, der erfolglos verlief. Die Klägerin, die am 12.05.2004 bis 02.06.2004 an einer Rehabilitationsmaßnahme teilnahm, war bis zum Ende ihres Arbeitsverhältnisses durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 08.12.2004 des Versorgungsamtes Frankfurt (Oder) wurde zuletzt ein Grad der Behinderung von 40 % anerkannt. Mit Bescheid vom 02.12.2003 erfolgte eine Gleichstellung gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX. Aufgrund eines Rentenbescheides der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 28.07.2003 erhielt die Klägerin rückwirkend zum 01.08.2002 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 28.12.2006 wurde nach vorhergehenden weiteren befristeten Rentenbescheiden eine erneute befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Februar 2010 bewilligt. Zuletzt wurde eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30.03.2010 zum 30.09.2010.

Mit Ihrer Klage vom 21.04.2010 wandte sich die Klägerin zunächst gegen die Kündigung vom 30.03.2010. Mit Klageerweiterung vom 22.10.2010 verlangte die Klägerin hilfsweise Urlaubsabgeltung für die Jahre 2003 bis 2010 für - unstreitig - 30 Arbeitstage Jahresurlaub. Sie verlangt weiter Urlaubsabgeltung für Zusatzurlaub für Schwerbehinderte für sieben Jahre und jeweils fünf Tage. Ausgehend von einem Monatsverdienst von 1.888,00 Euro verlangte die Klägerin zunächst 23.960,75 Euro. Mit einer weiteren Klageerweiterung vom 22.11.2010 verlangt die Klägerin auch Urlaubsabgeltung für 2002 in Höhe von weiteren 2.526,77 Euro.

Mit Urteil vom 16.06.2011 hat das Arbeitsgericht Berlin die Kündigungsschutzklage abgewiesen und die Beklagte auf den Hilfsantrag verurteilt, an die Klägerin 26.487,52 Euro zu zahlen. Soweit für das Berufungsverfahren von Belang, hat das Arbeitsgericht die Entscheidung damit begründet, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG folge. Unerheblich sei, dass die Klägerin seit dem Jahr 2002 fast durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und ab dem 01.08.2002 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen habe. Der Urlaubsanspruch setze lediglich das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraus.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 04.08.2011 zugestellt. Am 30.08.2011 erhob die Beklagte Berufung und begründete ihre Berufung am 04.10.2011. Sie trägt vor, die Entscheidung des Arbeitsgerichts sei aus rechtlichen Gründen unzutreffend. Bei einem Rentenbezug wegen Erwerbsminderung ruhe das Arbeitsverhältnis. Im ruhenden Arbeitsverhältnis könne ein Urlaubsanspruch nicht entstehen. Wollte man davon ausgehen, dass dennoch ein Urlaubsanspruch entsteht, wäre die Abgeltung jedenfalls auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch begrenzt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16.06.2011 - 57 Ca 1790/11 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der K...

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