Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmtheit des Änderungsangebots bei Verweis auf unveröffentlichten Tarifvertrag. Weite Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien bei der Abweichung von den gesetzlichen Kündigungsfristen auch im Hinblick auf ältere Beschäftigte

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Änderungskündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG bedingt, wenn sich die Arbeitgeberin zu einer organisatorischen Maßnahme entschlossen hat, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin entweder ganz oder jedenfalls zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfällt.

2. Hat sich die Arbeitgeberin vor dem maßgeblichen Zeitpunkt des Kündigungszugangs dazu entschlossen, den Beschäftigungsbetrieb der Arbeitnehmerin zu schließen und ist durch diese Schließung das Beschäftigungsbedürfnis im Wirksamkeitszeitpunkt der Kündigung entfallen, ist eine Sozialauswahl nicht durchzuführen, wenn allen Beschäftigten des Betriebs gekündigt wurde.

3. Ein mit der Kündigung unterbreitetes Änderungsangebot muss eindeutig bestimmt oder zumindest bestimmbar und so konkret gefasst sein, dass es einer Annahme durch die Arbeitnehmerin ohne Weiteres zugänglich ist.

4. Hat die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin mit der Kündigung angeboten, das Arbeitsverhältnis als Arbeitnehmerin im Sinne von § 5 Abs. 1 TV-Ratio TDG in der Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit V. der Deutschen T. AG zu den in Abschnitt 1 des TV Ratio TDG (nebst Anlagen) genannten Bedingungen fortzusetzen, sind damit die zukünftig geltenden Arbeitsbedingungen auch für die Arbeitnehmerin nach Maßgabe des entsprechenden Tarifvertrages festgelegt; die Bestimmbarkeit der neuen Arbeitsbedingungen kann sich auch aus anwendbaren Tarifverträgen ergeben.

5. Kann die Arbeitnehmerin ohne Veröffentlichung des Tarifvertrages persönlich von den einzelnen Arbeitsbedingungen, keine Kenntnis nehmen, soweit diese nicht schon in dem Informationsschreiben der Arbeitgeberin wiedergegeben werden, macht dieser Umstand das Angebot der Arbeitgeberin nicht unbestimmbar; Grundlage des Änderungsangebots ist der Tarifvertrag mit dem Inhalt, den die Tarifvertragsparteien für den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vereinbart haben, so dass sich die Situation der Arbeitnehmerin nicht anders darstellt, als wenn der Tarifvertrag mit Wirkung für beide Tarifvertragsparteien unterzeichnet und noch nicht für Dritte veröffentlich wäre oder aber die Tarifvertragsparteien den Tarifvertrag einvernehmlich nach Zugang der Kündigung noch ändern würden, da sich auch in diesem Fall die Arbeitsbedingungen (für die Arbeitnehmerin nur aufgrund der vertraglich vereinbarten dynamischen Bezugnahmeklausel nicht in den konkreten Änderungen vorhersehbar) ändern würden.

6. § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB erlaubt den Tarifvertragsparteien Abweichungen von den Absätzen 1 bis 3 der Vorschrift und damit von der gesetzlichen Grundkündigungsfrist, den gesetzlichen Kündigungsterminen, den in Abhängigkeit von der Beschäftigungszeit verlängerten Kündigungsfristen und der Kündigungsfrist für die Probezeit; den Tarifvertragsparteien ist damit eine weite Abweichungsbefugnis eingeräumt.

7. Es besteht kein die Tarifvertragsparteien bindendes Gebot, älteren Beschäftigten eine verlängerte Kündigungsfrist zubilligen zu müssen; der Mindestschutz für ältere Beschäftigte wird unabhängig von der eingeräumten Kündigungsfrist durch die gesetzliche Regelung bezüglich der Kündigungsgründe in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG gewahrt.

 

Normenkette

KSchG §§ 1-2, 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3, § 2 S. 1; BGB § 622 Abs. 4 S. 1; TV-Ratio TDG § 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 05.02.2014; Aktenzeichen 37 Ca 10556/13)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 01.03.2016; Aktenzeichen 2 AZR 838/14)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. Februar 2014 - 37 Ca 10556/13 - wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.

Die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigen die 1958 geborene Klägerin seit dem 01.09.1972.

Gemäß dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 03.01.2006 (Anlage K 1 zur Klageschrift vom 18.07.2013, Bl 8-11 dA), dort § 3, finden auf das Arbeitsverhältnis die für den Betrieb oder Betriebsteil, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, betrieblich/fachlich jeweils einschlägigen Tarifverträgen in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung.

Seit dem 01.02.2006 erfolgte die Beschäftigung der Klägerin im Betrieb T. Direktvertrieb und Beratung (DTDB). Dieser Betrieb hatte etwa 400 MA.

Die Beklagte schloss mit der Gewerkschaft ver.di den TV Bereichsausnahme DTDB vom 21.06.2011 (Anlage B 1 zur Klageerwiderung vom 18.10.2013, Bl 45f dA). Dieser Tarifvertrag sieht vor, dass auf den Betrieb DTDB die Tarifverträge der T. Deutschland GmbH in der jeweils gültigen Fassung Anwendung finden. Zu diesen Tarif...

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