Entscheidungsstichwort (Thema)
Verspätete außerordentliche Kündigung eines Ersatzmitgliedes des Betriebsrats bei Wegfall des besonderen Kündigungsschutzes während der Kündigungsfrist
Leitsatz (amtlich)
Wenn der besondere Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 KSchG vor Ablauf der 2-Wochen-Frist entfällt, muss eine Kündigung grundsätzlich noch innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 626 BGB ausgesprochen werden.
Normenkette
BetrVG §§ 103, 102; BGB § 626 Abs. 2; KSchG § 15 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.08.2016; Aktenzeichen 19 Ca 3022/16) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. August 2016 - 19 Ca 3022/16 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
III. Der Gebührenwert des Berufungsverfahrens wird auf 2.400,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. Februar 2016.
Der Kläger ist 47 Jahre alt (geb. ..... 1969), zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet und seit dem 16. Dezember 2008 bei der Beklagten als Call Center Agent, zuletzt mit einer Wochenarbeitszeit von 15 Stunden bei einer Vergütung von 550,00 € monatlich zuzüglich Bonuszahlungen entsprechend insgesamt ca. 800,00 € brutto monatlich beschäftigt. Der Kläger war Ersatzmitglied des im Berliner Betrieb gebildeten und aus drei Personen bestehenden Betriebsrates sowie seit September 2015 Mitglied des vom Gesamtbetriebsrat gebildeten Wirtschaftsausschusses. Da das erste Ersatzmitglied zum Betriebsrat sich derzeit in Elternzeit befindet, ist der Kläger nach seinem Vorbringen in der Berufungsverhandlung statt seiner seit dem 11. November 2016 für ein ausgeschiedenes Mitglied nachgerückt und faktisch Vollmitglied des Betriebsrates. Als Ersatzmitglied des Betriebsrates war der Kläger bereits zuvor vom 2. November 2015 bis 5. November 2015, vom 18. Januar 2016 bis 22. Januar 2016 und vom 11. Februar 2016 bis 22. Februar 2016 für verhinderte Betriebsratsmitglieder jeweils in den Betriebsrat nachgerückt, worüber die Beklagte auch jeweils zuvor in Kenntnis gesetzt wurde. In diesen Zeiträumen nahm er jeweils auch an Betriebsratssitzungen teil.
Die Beklagte, die nach ihrem Vorbringen in der Berufungsverhandlung die Stilllegung des Betriebes in Berlin zum 31. Mai 2017 plant, erbringt Call-Center-Leistungen insbesondere im Bereich der Zeitungsbranche. Wichtigster Auftraggeber der Beklagten war zumindest in der für diesen Rechtsstreit relevanten Zeit die B. L.. GmbH, die die Abonnenten der Zeitungen Berliner Zeitung und Berliner Kurier betreut. Der Kläger war im Bereich Outbound tätig, welcher unter bestimmten Voraussetzungen aktiv an Kunden herantritt. Daneben gibt es auch den Bereich Inbound, der von Kunden auf deren Initiative kontaktiert wird. Im Bereich Outbound wird insbesondere versucht, die Produkte der Auftraggeber zu verkaufen. Dabei zahlt die Beklagte an ihre Arbeitnehmer Provisionen bis zu 5,00 € im Einzelfall für verlängerte oder neu abgeschlossene Abonnements. Im Bereich Inbound gibt es entsprechende Provisionen nicht.
Die Beklagte hat neben der diesem Rechtsstreit zugrundeliegenden Kündigung vom 24. Februar 2016 bereits zuvor versucht, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu beenden.
Nachdem die zuständige Bereichsleiterin der Beklagten im Oktober 2015 von einer Auftraggeberin auf Ungereimtheiten bei der Anlage von Abonnements in ihrer Abteilung Outbound hingewiesen worden war, mit denen der Kläger in Verbindung gebracht wurde, beantragte die Beklagte nach Ermittlung des Sachverhaltes mit Schreiben vom 30. Oktober 2015 beim Betriebsrat dessen Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung des Klägers. Die Beklagte ging und geht davon aus, dass der Kläger entgegen bestehender Weisungen Kontakt zu Kunden der Auftraggeber aufgenommen und mit deren Einverständnis Abonnements verlängert oder bereits im Inbound verlängerte Abonnements unter seinem Namen im Outbound erfasst habe, um die daraus resultierenden Bonuszahlungen zu erhalten.
Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung unter dem Datum des 2. November 2015. Am 4. November 2015 reichte die Beklagte den Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Klägers beim Arbeitsgericht Berlin zum Aktenzeichen 55 BV 15289/15 ein. Mit Beschluss vom 29. Februar 2016 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es vor allem ausgeführt, dass der Antrag im Zeitpunkt der Entscheidung des Arbeitsgerichts unzulässig sei. Der besondere Schutz des § 103 BetrVG bestehe nur für die Dauer der Amtszeit im Betriebsrat, also sobald und solange das Ersatzmitglied dauernd oder zeitweilig in den Betriebsrat nachrücke. Nach Ende der vorübergehenden Verhinderung des Betriebsratsmitglieds bestehe jedoch kein Zustimmungserfordernis mehr. Für das Verfahren auf Zu-stimmungsersetzung gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG bedeute dies, dass sich, sobald das Amt des Betriebsratsmitglieds endet...